Ich muss mich hier mal den schönen Dingen widmen: Ich weiß nicht, wie es bei euch aussieht, aber mein Tag hier war bisher bestenfalls bescheiden – ein klassischer Sonntag mit Nieselregen, schlechten Nachrichten und mehr Tal- als Bergfahrten. Gut, dass es um zwanzig nach drei schon anfängt, dunkel zu werden hier, sonst wäre die Szenerie fast trostlos.
Um also die Tristesse dieses Nachmittags hier zu bekämpfen, greife ich mit Finesse einfach zu meiner geliebten Allzweckmedizin: Dem Ballsport in all seiner Schönheit! Ich könnte hier ganze Seiten füllen mit meiner Faszination darüber, dass ganze Nationen tagelang trauern oder tanzen, je nachdem ob ein Ball eine Kreidelinie auf einem Rasen überschreitet oder eben nicht. Erklären kann und will ich dieses Phänomen auch gar nicht näher, denn darin liegt nun mal seine Schönheit. Mein Punkt an dieser Stelle ist ein anderer: Sport hat das Potential – so nutzlos es nüchtern betrachtet auch scheinen mag – eine Oase zu sein, die jeden Tag und bei jedem Besuch ein Leben bereichern kann.
Nehmen wir meine große Liebe, König Fussball: Mein Team spielt heute nicht mal und trotzdem schafft es das Spiel ums runde Leder mit Leichtigkeit, mich aufzubauen. Denn ich weiß, dass in T minus zwölf Minuten im Old Trafford Stadium in Manchester der Baum brennen wird über der uralten Rivalität zwischen Manchester United und Liverpool. Ich kann absolut nachvollziehen, wenn das jemanden so tangiert wie einen Kometen auf der Milchstraße, doch für mich birgt so ein Spektakel nicht nur Unterhaltung, sondern auch einen Kanal purer Lebensfreude.
Sporthighlights sind für mich kleine, heile Welten in denen wir im Kampf mit erfundenen Herausforderungen voll aufgehen können. Denn nichts anderes passiert im Sport: Wir lassen raus, was auch mal raus muss. Wir grübeln über Rätsel, deren Antworten nur auf dem Platz gefunden werden können. Wir streifen Uniformen über und geben uns dem einfachen “Wir”- Gefühl hin. Wir gewinnen oder verlieren, hopp oder top. All das ist tief verwurzelt in unserer Geschichte, doch heute haben wir dafür – Gott sei Dank – relativ friedliche Kanäle gefunden.
Ein solches Spitzenspiel oder auch die Football-Playoffs am späteren Abend schaffen für mich Gegenpole zum Alltag, Termine fester in den Tag eingemeißelt als ein Zahnarzt es sich je erträumen könnte und Quellen voll sprudelnder Vorfreude. Ich habe erwähnt, dass ich heute lange im Regen stand. Ich weiß aber auch, dass bald eine Tür aufgeht, die mich von der Straße in die gute, warme Stube einlädt zu einem erquickenden Getränk und der Fachsimpelei mit Freunden über den möglichen Ausgang der Playoffs. Und ich weiß, dass all das und die Welt da draußen egal sein kann, sobald der Kickoff kommt.
Allerdings weiß ich auch, dass sich grade beim Football – bei all seiner Schönheit – auch immer mal der kleine Klabautermann in meinem Kopf meldet, der an den Grundfesten dieser amerikanischen Institution rütteln will:
Raubt es Teams nicht völlig die Seele, wenn sie einfach im Rahmen des “Merchandise” transferiert werden können von Stadt zu Stadt? Aktuell geschieht dies mit den Chargers, die jetzt nicht mehr in San Diego, sondern in Los Angeles elektrisierende Momente für ihre Fans versprechen. Bin ich der Einzige – Goodman-Memes willkommen ab hier- , den es stört, dass bestimmte Konstellationen aufgrund der Divisions im Superbowl NIE zustande kommen werden? Und warum bekommen kleinere Teams nicht die Chance, durch guten, soliden Football um genau diese Trophähe mitzuspielen?
Bei all diesen Fragen spielt natürlich das liebe Geld eine wichtige Rolle. Vielleicht probiere ich hier auch in einem Anflug von Größenwahn, eine mir gewogene Sportart nach den Vorstellungen meiner Lieblingsportart abzuändern. Aber zum Abschluss möchte ich noch an einem Beispiel verdeutlichen, wie fuchsig mich das Spiel mit dem Ei machen kann:
Im Januar letzten Jahres stehen sich die Green Bay Packers und die Arizona Cardinals in den Playoffs gegenüber. Es geht in die Verlängerung und damit an die Entscheidung, welches Team denn nun den Ball bekommt – im Football ein entscheidender Vorteil. Und jetzt kommt’s: Sie werfen eine Münze! Zwei der besten Quarterbacks der Liga stehen sich auf dem Zenith ihres Schaffens gegenüber und ein Münzwurf entscheidet, wer ran darf. Und so macht Arizona mit dem ersten Spielzug das Spiel klar, was einen nicht nur als Packers-Fan doch zumindest kurz mal stutzig machen sollte, oder?
Da ich Kritik ohne Eigeninitiative aber selber nicht befürworte, hier mein Vorschlag: Vier Versuche für jeden Quarterback und wer mehr Yards macht, darf beginnen. So sieht man in meinen Augen wer der Beste ist, nicht durch eine fliegende Münze (die sich übrigens beim ersten Versuch des Schiedsrichters kein einziges Mal drehte; was bringt dieser Sport nur für Momente!?). Soviel von meinem Senf dazu, es dient wahrscheinlich der allgemeinen Beruhigung, dass heute abend das alles wohl wieder kaum eine Rolle spielen wird. Außer, dass bei einer Verlängerung Gebissabdrücke in meiner Tischkante sehr wahrscheinlich werden.
Wie also deutlich wird, birgt Sport wie so vieles im Leben stets Freud und Leid. Aber ganz ehrlich, wenn ich so aus dem Fenster schaue, sehne ich mich einfach nur nach ein bisschen Leben in der Bude. Also lasst die Spiele beginnen!