Nein, ich will nicht…

Bruderherz, es wird selten vorkommen, dass ich einen Aufruf deinerseits so erfüllen kann wie diese Woche: In deiner informativen Schilderung um den Einspruch vor dem Altar, Bräuche aus vergangenen Zeiten und Anekdoten um den festlichen Rahmen des Ja-Wortes fragtest du, ob schon mal jemand einen solchen Einspruch erlebt hätte.
Nun, seit letztem Montag kann ich diese Frage mit Ja beantworten. Ein pikantes Detail: Der Einspruch-Erhebende war niemand Geringeres als ich selbst.

Du wirst also in der Folge aus erster Hand hören, wie viel Reiz so eine Szene bereithält für die Beteiligten. Bevor deine Vorfreude allerdings durch die Kirchendecke geht, muss ich gleich die Erwartungen auch wieder etwas dämpfen: Denn erstens handelte es sich um keine wirkliche Hochzeit und zweitens war ich nicht wirklich ich selbst. Hier die Geschichte kurz, knapp und von Anfang an:

Im Rahmen unserer Public Speaking Society hier auf dem Campus kamen wir beim wöchentlichen Treffen um den Valentinstag natürlich nicht drum rum. Das Ziel der Gemeinschaft ist es, Leute zum öffentlichen Reden zu ermutigen und aus sich heraus zu gehen. Gesagt, getan – in dieser Sitzung wurden also Rollen verteilt für eine fiktive Hochzeit. Brautpaar, Angehörige, Trauzeugen und so weiter.

Wie du dir vorstellen kannst, lässt sich in so einem Rahmen vortrefflich improvisiertes Reden öffentliches Auftreten üben. Die Trauung durch den Priester, Anekdoten von Trauzeugen, die Geschichte wie sich das Brautpaar kennenlernte, alles tolle Optionen. Was du dir ebenfalls vorstellen kannst, ist, dass unserem Präsidenten das allein natürlich nicht reicht. Und so fand ich auf meinem Zettel neben meiner Rolle als Großmutter der Braut einen kleinen Vermerk in kursiv, der sich wie folgt las: ‘Challenge: You are opposed to the wedding and will try to break it up at one point’.

Und so saß ich eingehüllt in einen Oma-Schal in einer hinteren Reihe des Raumes, wippte gebückt auf meinem Stuhl vor und zurück und wartete auf den passenden Moment für die Szene, die du so gerne mal sehen würdest. Und soll ich dir was sagen? Es war einfach nur peinlich…

Ich wurde vom Priester übertönt, es herrschte totales Chaos und keiner wusste, was eigentlich los ist. Was ebenfalls (fast) keiner wusste: Der Vater des Bräutigams hatte auch eine geheime ‘Challenge’: Die Hochzeit um jeden Preis durchzuziehen!

Und so wurde ich rausgezerrt aus dem Raum von mehreren Leuten, schrie den Priester an, dass ich ihn doch fürstlich bezahlt und bestochen hätte, spukte dabei sogar etwas und alle riefen wild durcheinander. Trotz aller Situationskomik war es letztlich für alle eher beschämend, fast surreal. Super im Rahmen von Public Speaking (Stichwort: Komfortzone verlassen), aber undenkbar im wirklichen Leben. Allein der Gedanke an eine solche Szene potenziert in Intensität durch ein echtes Umfeld treibt mir die Haare zu Berge.

Was ich mit dieser kurzen Geschichte eigentlich verdeutlichen will, ist Folgendes: Ich glaube nicht, dass du so etwas so sehr sehen willst, wie du glaubst. Schon gar nicht, wenn irgendjemand involviert ist, der dir persönlich wichtig ist.

Ich denke vielmehr, deine Lust auf so ein Spektakel entsteht aus deinen bisherigen, fiktiven Kostproben aus der Traumfabrik Hollywood. Hier wird mit der Hochzeit ein realistischer Rahmen gesteckt, um dann ein unrealistisches, spektakuläres Szenario aus dem Nichts herauf zu beschwören. Welches dann noch unrealistischerweise glatt und gut geht!

Zu den Filmbeispielen, die du genannt hast, kann ich ein Weiteres spontan hinzufügen: „Wedding Crashers“ mit Owen Wilson und Vince Vaughn.

Hier kamst du auf deine Kosten, was eine Schlägerei vor dem Altar angeht. Klassischer Plot: Der gehörnte Verlobte, der selbstredend ein Riesenarschloch ist, stürmt blind vor und wird mit einem Schlag eiskalt ausgeknipst wie eine Stehlampe. Es folgt ein cooler Stallone/Seagal Spruch, das Mädel kommt zu Sinnen. Kein Rangeln, Zerren, Tumult, nein. Das Einzige, was sich leise aber zunehmend im Hintergrund breit macht, ist das Intro für einen flippigen Indie-Rocksong. Makellose Sakkos, aufatmende Mienen, einmal Eierkuchen für alle bitte!

Wieder stelle ich dem eine Anekdote aus Public Speaking gegenüber: Es gab Probleme bei der Organisation unseres Karaoke-Abends, die in einer kernigen Rangelei zwischen unserem Präsidenten und dem Barkeeper gipfelten. Ich sehe dich jetzt verschmitzt grinsen bei dem Gedanken an so eine Szene. Wie du sagst schauen wir alle ja durchaus gerne bei sowas zu.

Doch wir schauten nicht zu, weil wir wollten. Wir schauten, weil wir nicht anders konnten. Fünfundzwanzig Jungs und Mädels im Raum waren für eine knappe Minute absolut paralisiert. Zwei Männer, stöhnend, grunzend in verbissenem Clinch, sonst kein Mucks. Beide verließen wutentbrannt die Szenerie, es blieb leichenstill. Man hätte die Luft schneiden können, so als wäre ein riesiger Haufen Scheiße im Raum, den jeder riechen, aber keiner wegräumen kann.

Kurz: Es war furchtbar. (Das Einzige, was mir einfiel, war: ‘Der Typ, der jetzt als Erstes singt, muss mindestens weltklasse sein…’)

Auch wenn die Umstände hier nicht ganz vergleichbar sind, will ich damit sagen: Sowas hätte es in Hollywood nicht gegeben. Keiner genießt so eine Szene, keiner will das, schlechte Idee also für einen Film. Aber genau so passiert. Hier. Mitten im Leben. Und deswegen mag ich bei Filmen und Serien vor allem zum Thema Liebe und Freundschaft mittlerweile eine bemühte Realitätsnähe und Nachvollziehbarkeit wirklich zu schätzen.

Ich liebte die erste Staffel von „How I met your mother“ genau dafür. Wie der Hauptcharakter Ted den langen, fast peinlichen Händedruck von seiner Herzdame erst am Tag danach wirklich rafft und sich dafür in den Arsch beißen könnte. Wie er probiert, für sie krampfhaft lässig zu wirken, um sich wie wir alle bei einem Date möglichst von der allercoolsten Seite zu zeigen. Um dann genau dabei zu versagen. Und wie bei einem Krach mit seinem besten Kumpel keine Musik im Hintergrund läuft, sondern die Luft einfach brennt.

Klar hebt auch die Serie gelegentlich ab, aber das ist nicht mein Punkt. Ich will nur betonen, dass ich es genieße, wenn sie es nicht tut. Wenn ich eine Geschichte erzählt bekomme, die ich ein Stück weit glauben kann. Ich mag es einfach, wenn der Rahmen nicht zu sehr missbraucht und gebogen wird für Zirkusnummern.

In einer „Friends“-Folge kommt Rachel zur Neujahrsparty vom Flughafen. Sie ist absolut zugerichtet und schwer verletzt, weil sie in eine Keilerei mit einer anderen Frau um ein Taxi geraten war. Die Szene verwirrt, sorgt nicht für Lacher und wirkt völlig aus der Luft gegriffen. Wem bitte ist sowas schon mal passiert? Um Mitternacht wird die Folge gekrönt durch einen Kuss zwischen Joey und einem verzweifelten Chandler, da sie beide sonst niemanden finden.

Und jetzt macht das Ganze Sinn. Denn: Rachel wäre in normalem Zustand verfügbar gewesen, so ist sie es nicht. Es kommt mir also so vor, als ob der unrealistische Männerkuss als Idee da war und dann von dort aus zurück konstruiert wurde mit dem Ziel, ihn plausibel zu machen. Mir missfällt das irgendwie, wie geht euch das?

Seid ihr bei mir, wenn ich sage, Big Bang Theorie war gerade am Anfang cool, als der Kontrast zwischen Penny und Leonard nachvollziehbar war? Und irgendwie surreal wurde, als er sie kriegt an Stelle eines souveränen Pasadena Gigolo?

Bevor ich abschweife, möchte ich nur das loswerden: Wenn das Umfeld realistisch ist und Ereignisse dann nicht, entstehen falsche Perspektiven und Hoffnungen. Wie oft hat bei euch der Nerd next Door die männererfahrene Partyblondine durch zöger- und krampfhafte Annäherungen auf die lange Bank verzaubert?

Ich habe kein Problem damit, wie Iron Man in „Avengers“ vor dem riesigen, wal-ähnlichen Roboterraumschiff durch die Skyline von New York City – wo alle Aliens immer angreifen – düst und sagt: ‘Ich bring die Party zu euch…’. Da reflektiere ich von vornerein nicht, mein soziales Hirn ist bestenfalls im Standby. Bring die Party zu mir, Tony!

Aber wenn es um junge Leute in ihren Zwanzigern geht, um Dates, Parties, Freunde und das Drumherum, dann projiziere ich natürlich laufend zurück auf mich. Und in so einem Spiegelkabinett bin ich zum Freund des schlechten Magiers geworden: Lieber ein peinlicher Auftritt als eine filigrane Täuschung.

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