Überleben in der Wildnis

Geschichten sind es, die uns zusammenbringen. Geschichten sind es, die uns zusammenhalten. Geschichten machen die Welt um uns herum zu dem, was sie für uns ist. Oder was sie sein könnte. Oder wie wir sie gerne hätten.
Geschichten sind die Grundlage von Nationen, Religionen und von Millionen – Träumen, Schlägereien, Schwangerschaften.
Geschichten lassen uns teilhaben am Leben anderer, an ihren Erfolgen, ihren Fehlern, ihren Lehren. Wir fühlen mit den Helden, mit den Romanfiguren. Und erfahren ein Stück, wie wir an ihrer Stelle empfinden würden. Und wir können uns auch fragen, wie wir an ihrer Stelle handeln würden. Denn es gibt da auch diese Geschichten, diese Situationen, diese Szenarien, die wirklich so passieren und die mich dann darüber nachdenken lassen, wie ich mich schlagen würde. Die Überlebens-Geschichten, die Survival-Stories.
Juliane Koepcke im Urwald: nach einem Flugzeugabsturz schlägt sie sich als einzige Überlebende durch den Dschungel der Anden, 10 Tage lang, im Alter von 17 Jahren.
Steven Callahan auf offener See: nach dem Kentern seines Bootes treibt er 76 Tage lang durch den Atlantischen Ozean, er fischt nach Nahrung und sammelt Trinkwasser in einer Verdunstungsfalle.
Die „Apollo 13“-Crew in den Weiten des Weltalls: Nach der Explosion eines Sauerstofftanks und einem der legendärsten Funksprüche aller Zeiten („Houston, we`ve had a problem…“) gelingt es, durch Improvisation und clevere Bastelei alle 3 Astronauten zurück zur Erde zu bringen.

Es gibt tausende solcher Geschichten, eine beeindruckender als die andere. Und bei allen muss ich mir die Frage stellen, was für eine Vorstellung ich in derselben Situation abgegeben hätte. Im Überlebensszenario. Vorzugsweise das auf einer einsamen Insel. Und zwar in der Basic-Version. Kein Haufen Kinder plus Charakterstudie des menschlichen Wesens („Herr der Fliegen“), keine 80er-Jahre sexuelle Erfahrungsromanze („Die blaue Lagune“) und auch bitte keine mysteriösen anderen Insel Bewohner („LOST“), ich hätte schon genug Probleme mit mir selbst.
Eher ein „Castaway“-Modell. Nur ich, allein, in der Wildnis. Die Frage, die mich dabei wirklich beschäftigt, ist: Wie weit würde ich kommen? Wie lange würde ich durchhalten?
Würde mir meine ganze Bildung und alles was ich bisher im Leben gelernt habe überhaupt irgendwas nützen? Ich bin mir nicht einmal sicher ob ich es schaffen würde, ein Feuer zu machen. Obwohl ich theoretisch wüsste wie es geht. Oder wie es gehen sollte. Mit einem Brennglas, Feuersteinen, 2 Stöckchen aneinander reiben…aber hat das wirklich schon mal jemand versucht? Ich kann mich daran erinnern, es als Kind einmal probiert zu haben; nach einer halben Stunde waren die Stöcke in etwa lauwarm und ich hatte erste Blasen an den Fingern…Daher habe ich die Mission damals abgebrochen und bin zurück ins Haus, an die Playstation.
Und das ist das Problem: solange ich nicht muss, mach ich es auch nicht (und das gilt leider für so viel mehr als nur 2 Stöckchen aneinander reiben…). Aber in einer echten Notfallsituation wäre ich wohl gezwungen weiter zu machen. Weiter zu überlegen, um weiter zu überleben.
Würden mir ein paar clevere Ideen einfallen, die mich retten? Eine Verdunstungsfalle, um Trinkwasser zu sammeln/zu reinigen. Eine Signalleuchte, ein Funkmodul aus Frackteilen basteln. Eine Hütte bauen, auf Stelzen, um mich vor wilden Tieren zu schützen. Einen Bogen bauen, Redstones verschalten, Erze bergen, Creeper abwehren…

Ich denke daher nehmen Spiele wie „Minecraft“ ihre Faszination: dem Erlebnis, aus einfachen Dingen selbst kreativ Neues zu schaffen, das einem dabei hilft zu überleben und sich weiter zu entwickeln.
Denn in unserer modernen Welt, mit Globalisierung und Arbeitsteilung, haben die Meisten von uns den Zugang dazu verloren, wofür uns die Evolution einst geschaffen hat: das Überleben in der freien Natur. Nahrung suchen, sammeln, jagen. Werkzeuge, Waffen, Wohnstätten bauen. Die Welt um sich herum verstehen lernen, sie zu kennen und zu achten.
Ich habe oft die Erfahrung gemacht, dass schon eine kleine Annäherung an ein solches (zu gegeben extremes Szenario) Gefühle und Motivationen in mir weckt, die mich gleich sehr viel lebendiger fühlen lassen. So bei einer Wanderung: den ganzen Tag unter freiem Himmel, alles was man zum Leben braucht im Rucksack auf dem Rücken tragend, Lagern am Feuer, Schlafen im Zelt.
Oder beim Fischen mit der Angelrute: Klagt mich an, aber es liegt für mich eine ureigene Faszination darin, die Schnur auszuwerfen und durch die Tiefen eines Gewässers zu ziehen, immer auf Anspannung und jede kleine Zuckung der Rute belauernd.
Es ist dieses Gefühl, ein Stück selbstständiger zu sein, einen Teil von seinem ursprünglichen Selbst zurück erobert zu haben. Sich selbst ernähren, auf eigene Faust seinen Weg durch die Wildnis finden, die Natur kennen zu lernen. Und sicherlich: diese Gefühle gelten für mich genauso beim Anpflanzen von eigenem Gemüse im Garten zu Hause. Denn auch da schmecken die Tomaten anders, wenn man sie ein halbes Jahr vorher beim Wachsen gehegt, gepflegt und beobachtet hat. Und wahrscheinlich würden sie noch besser schmecken am Strand einer einsamen Insel, vor dem eigenhändig entzündeten Feuer, bei der eigenhändig gebauten Hütte.
Aber wenn ich hier schon träumen darf, dann will ich doch lieber Früchte statt Tomaten. Und die will ich in einem Cocktail. Und nicht alleine da sein, sondern meine Traumfrau neben mir haben. Denn eigentlich will ich das Leben genießen. Und das geht eben doch besser, wenn man grade nicht ums Überleben kämpfen muss.

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