Die Grenzen des Tischtennis

Der Super Bowl! Was für ein Spektakel! Und auch wenn du als Sportfan nur das eine oder andere wirklich sehen willst, habe ich mich schon immer für die Werbespots interessiert. Was die kreativen Marketingmenschen da an Ideen rausfeuern, ist, da gebe ich dir Recht, meistens weeeit vom Kern (und selbst der Schale) der eigentlichen Produkte entfernt.
Aber eben oft auch wirklich witzig und innovativ.
Denn sie ziehen neue Verbindungen, verknüpfen Dinge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, laden das Ganze dann meistens noch mit Sex auf und überschreiten dabei nicht selten die Grenzen des guten Geschmacks. So wie mancher Künstler. Oder die Ladies in Thailand mit den Ping-Pong-Bällen.

Aber warum begeistert uns das? Gerade diese Überschreitung von Grenzen? Nun es geht darum, etwas Neues zu erleben. Etwas zu erfahren, zu sehen, was ich so noch nie erlebt habe, weil es da etwas gibt, etwas passiert oder jemand etwas tut, was meinen Horizont neu definiert; meine Grenzen verschiebt. Und an das ich mich daher mein Leben lang erinnern werde.

Jetzt sind wir leider beim völlig falschen Beispiel und den völlig falschen Bildern im Kopf. Da könnte man mich schnell missverstehen. Ich wollte eigentlich über was anderes schreiben. Das ist nun ein bisschen heikel…
Mist.
Wie komm ich jetzt möglichst elegant wieder davon weg??
Schnell, Themawechsel:
– oder halt. Wir bleiben beim Thema, dem Überschreiten von Grenzen, aber wechseln das Beispiel.

1979 veröffentlichte ein britischer Künstler, Kit Williams mit Namen, eine Bilderbuch-Erzählung für Kinder, „Masquerade“ mit Namen.
Puuuuuh.
Krasser Schritt.
Von einem Beispiel zum Anderen.
Lassen wir das sich kurz setzen…
Soooo …
Alle dabei?
Bilderbuch für Kinder, England, 1979? Haben wir das Alle, vor unserem geistigen Auge?
Für diejenigen welche die geistigen Augen kurz geschlossen hatten, sie können sie jetzt wieder öffnen, es ist alles gut…wir kriegen auch wieder den Bogen zum Thema, versprochen…außerdem wird es jetzt spannend…
Also Los!

„Masquerade“ war kein gewöhnliches Buch. Und Kit Williams auch kein gewöhnlicher Buch-Autor. Nun, was die eigentliche Erzählung angeht, der Text des Buches, vielleicht schon: es geht um das Märchen vom Hasen Jack Hare, der im Auftrag der Liebe einen Schatz vom Mond (in der Geschichte eine Frau) zur Sonne (in der Geschichte ein Mann) bringt. Als er aber bei Herrn Sonne am Ziel ankommt, kann er den Schatz auf einmal nicht mehr finden und stellt fest, dass er ihn wohl unterwegs verloren hat…
Ja klar! Natürlich! werden jetzt die Erwachsenen sagen. Der ver*** falsche Hase hat Frau Mond eiskalt abgezogen und das Schmuckstück eingesackt; die Nummer kenn ich doch, klingt nach der ältesten Gaunermasche im Buch…
Aber das kommt nur daher, dass die Erwachsenen nicht mehr an Märchen glauben. Denn den Schatz gibt es wirklich. Also wirklich wirklich. In echt.
Womit wir nun zum Außergewöhnlichen an „Masquerade“, dem Bilderbuch kommen: es enthält 15 sehr kunstvoll gearbeitete, sehr besondere Illustrationen. Diese haben, dass erkennt man recht schnell, recht wenig mit der eigentlichen Märchen-Geschichte zu tun. Oder eben doch: denn das Märchen endet damit, dass der Leser aufgefordert wird, den Schatz zu suchen. Und die Hinweise, wo der Schatz versteckt ist, verstecken sich ihrerseits in den Bildern.
Wer also damals das Rätsel als erster löste, wusste den Ort, wo dieser Schatz lag und konnte ihn heben. Und ihn auch behalten (Herr Sonne und Frau Mond dachten ja eh, dass er weg war).
Bei dem Schatz handelte es sich nämlich um ein von Kit Williams eigens in Handarbeit gefertigtes Schmuckstück, ein Hase, mit verzierten Steinen besetzt, aus 18 karätigem Gold. Jetzt dürften auch die Erwachsenen wieder mit Aufmerksamkeit zu hören: Mr. Williams hatte tatsächlich ein Schmuckstück aus Gold vergraben, irgendwo in England. Und die genaue Stelle war als Rätsel beschrieben in den Bildern zu „Masquerade“. Eine echte Schatzsuche eben.
WOW. Das ist mal eine coole Idee. Eine die aus einem Buch mehr machte, als eine bloße Bildergeschichte. Eine, die aus einem Märchen eine Verbindung in die reale Welt schaffte. Eine, die eine Brücke baute zwischen Fiktion und Realität. Eine, die eine Grenze überschritt.

Ja, ich weiß schon: jetzt kommen alle mit „Boa, was ist das denn für ein Metaphysik-Gewäsch?? ich dachte es ginge um echte Helden die Grenzen überschritten haben, Neil Armstrong, Rosa Parks, die Jungs von Red Bull die irgendwo ohne Falschirm runterspringen…“
Alles richtig. Und um all das geht es auch. Denn was fasziniert uns an diesen Menschen? Warum überschreiten wir Grenzen oder bewundern andere dafür? Weil uns das Neue, das Unbekannte fasziniert. Weil wir etwas Neues sehen, hören, fühlen, wissen wollen. Weil wir etwas Neues erleben wollen. Und das trifft auf alle diese Beispiele zu. Außer vielleicht auf Rosa Parks, die wollte eigentlich nur ganz normal Busfahren; aber das liegt daran, dass in diesem Fall die definierten Grenzen selbst von vornherein kompletter Schwachsinn waren.

Ich glaube, wir alle sind eben tief im Herzen noch immer Entdecker. Abenteurer. Jäger, Sammler, Schatzsucher.
Wir sind von Natur aus neugierig. Vor allem Dinge, welche die Grenzen in unserem Kopf zu überschreiten scheinen und neue Verbindungen schaffen, die es vorher so nicht gab, begeistern uns. Wenn etwas die Grenzen, die wir glaubten zu kennen, sprengt.

Deswegen haben mich als Kind diese Bilderbücher begeistert, bei denen sich dreidimensionale Faltszenen aufklappten, wenn man die Seiten aufschlug. Oder die Abenteuer-Bücher, bei denen man Rätsel lösen musste und nicht linear die Seiten eine nach der anderen las, sondern entsprechend der Antworten auf die Fragen/Situationen/Herausforderungen zu andern Seiten sprang, so dass sich bei jedem Lesen neue Geschichten ergaben. Oder der Kampf bei „Metal Gear Solid 1“ gegen „Psycho Mantis“, ein Endgegner der Gedanken lesen konnte und dich immer besiegt hat, weil er wusste was du vorhast, es sei denn man wechselte in der realen Welt an der realen Konsole mit dem Playstation-Spielcontroller auf den 2. Controller Steckplatz…
Deswegen war das Tamagotchi in den 90ern ein Hit. Weil es ein Computerspiel war, das in den Alltag hinein reichte. Genauso „Furby“ in den 2000ern. Oder Pokemon Go in den 2010ern. Oder eben „Masquerade“ damals 1979. Und mit dem Aufkommen von „Virtual“ und „Augmented“ Reality werden die Grenzen erneut überschritten, neu definiert, verwischt werden. Ich glaube fest daran, dass ich es noch erleben werde, dass ich bei uns auf der alten Burgruine nicht weit von unserem Haus mit einem Drachen kämpfe. Oder mit einem Troll, der das Tor bewacht. In einem „Augmented Virtual Reality Rollenspiel“, das die Grenzen zwischen realer und virtueller Welt überschreitet. Vielleicht bin ich dann schon alt, vielleicht rolle ich mit meinem Rollstuhl dort herum. Aber in meiner Reality bin ich ein Ritter, der mit wehendem Banner auf einem prächtigen Ross und gesenkter Lanze ins Abenteuer stürmt. Und dann werde ich im Herzen wieder so jung sein wie als Kind.
Das ist vielleicht der wichtigste Punkt, warum es sich lohnt, seine eigenen Grenzen von Zeit zu Zeit zu überschreiten, Neues auszuprobieren, neue Geschichten zu schreiben, neugierig zu sein: es lässt uns wieder fühlen, wie wir alle einmal waren, als Kind, als alles noch neu war. Und damals wie heute braucht es dazu eigentlich keine teure Videospieltechnik. Denn Kreativität, das Erschaffen von etwas Neuem, von neuen unkonventionellen Verbindungen aus alt-bekanntem, beginnt im Kopf, beginnt mit der eigenen Fantasie. Und die war schon immer Grenzen-los und wird es immer sein.
Und das werde ich immer lieben. Außer beim Ping-Pong, da bleib ich konventionell. Da hört der Spaß auf. Obwohl, nur mal ein kurzer Blick vielleicht..?

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