“Nyepi” – Der Tag der Stille

Keine Arbeit, kein Verkehr, keine Elektrizität und kein Lärm.
Kein Mensch auf den Straßen; keine offenen Cafes oder Restaurants; keine Autos oder Busse, nicht einmal ein Flugzeug ist an diesem Tag zu sehen. Für 24 Stunden verfallen ganze, sonst hell erleuchtete Städte und Dörfer in absolute Stille, die jegliche normalen Alltagsaktivitäten lahm legt und zum Ursprünglichsten zurückkehrt.

 

Was für uns unvorstellbar klingt und in Metropolen wie New York, San Francisco oder Berlin unmöglich scheint, ist hier Realität. Der Tag der Stille, oder auch “Nyepi” genannt, gilt auf der indonesischen Insel Bali als der höchste hinduistische Feiertag und kennzeichnet im Hinduismus den ersten Tag des neuen Jahres. Er ist vergleichbar mit dem, was wir als Neujahr kennen und wird im Frühling (meistens im März) am Tag nach Neumond gefeiert. An diesem Tag wird auf Bali jedes alltägliche Geschehen still gelegt und es gelten 24 Stunden lang klare Regeln, an die sich jeder hier gerne und ohne Ausnahme oder Widerrede hält. Niemand darf das Haus verlassen, es gibt keine Arbeit oder Elektrizität, Licht und Feuer sind verboten, Fernseh- oder Radiostationen gehen nicht auf Sendung, der Verkehr und sogar der Flughafen wird komplett eingestellt. Nur die Polizei und der Krankenwagen dürfen in Notfällen die Straßen “betreten”.

“Nyepi” gilt als Tag der Meditation, des Fastens, des “In-sich-Kehrens” und des Neuanfangs, bei dem die Konzentration und die Aufmerksamkeit dem eigentlich Wichtigem gilt: der Familie, aber auch dem zur Ruhe kommen und der Beschäftigung mit dem eigenen Ich. An diesem Tag soll der größtmöglich reine Neuanfang für das kommende Jahr begonnen werden, indem man sich von allen schlechten Einflüssen, Energien und Gedanken so gut es geht befreit.

Auf Bali sind etwa 90% Anhänger des hinduistischen Glaubens, der mit mittlerweile rund einer Milliarde Menschen weltweit als die 3. größte Religion der Welt gilt und seinen Ursprung in Indien hat. Vereinzelt finden sich hier zwar auch Anhänger des Buddhismus und des orthodoxen Islams, dennoch beginnen die Feierlichkeiten für alle auf der ganzen Insel bereits eine Woche zuvor und wird jedes Jahr aufs Neue von allen Einheimischen vorfreudig erwartet.

Am Tag vor “Nyepi” werden gemeinsame Umzüge in Ortschaften und Städten veranstaltet, bei denen aus Pappmaschee gebaute, riesige monsterähnliche Puppen von den Tempeln aus durch die Straßen bis hin zu einem großen Feuer  getragen werden, um dort in einem Feuer zu verbrennen. Sie symbolisieren die Schatten und die Dämonen des letzten Jahres. Die Umzüge erinnern zwar ein wenig an einen rheinländischen Karnevalszug, allerdings geht es hierbei wirklich um die Tradition selbst und das gemeinsame Erleben und Ausleben des eigenen Glaubens. Im Hinduismus stehen vor allem spirituelle und polytheistische Elemente im Vordergrund, bei denen es mehr als nur eine Gottheit gibt und die Götter als persönliche und unpersönliche Wesen in Erscheinung treten. Ein weiterer Ursprung bzw. Sinn der Tradition des “Nyepi” ist es, dass die Insel an diesem Tag still, unbewohnt und verlassen scheinen soll, sodass alle bösen Götter, Dämonen und Geister weiter ziehen und sich nicht auf der Insel niederlassen.

“Der Tag der Stille” ist weltweit einer der wohl außergewöhnlichsten und einmaligsten Feiertage. Denn obwohl es unvorstellbar klingt, funktioniert es dennoch jedes Jahr. Jahr für Jahr. Die Balinesen sind sogar dankbar dafür, einen Tag ohne Smartphones, Autos, Elektrizität und Zeitdruck verbringen zu dürfen. Es ist ein Geschenk, da ohne Ablenkung und ohne jeglichen Lärm die  Balance und eine innere Mitte für das neue Jahr so um einiges leichter gefunden werden kann. Jeder weiß vorher, was ihn erwartet. Jeder weiß, dass es an diesem Tag eben mal kein Internet, keine Elektrizität, keine Autos und keine offenen Supermärkte oder Restaurants gibt. Ist diese Tradition nicht eigentlich ein Vorbild für die ganze Welt?  Ein Tag, an dem nur das Wesentliche zählt, dankbar zur Ursprünglichkeit und der Einfachheit entgegen streben und nur einmal ohne Handy, Fernsehen und Elektrizität  auszukommen? Bali macht es vor, und das schon viel zu lange, um so wenigen bekannt zu sein. Denn “Nyepi” ist der Beweis: es geht auch mal ohne.

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