Ja die Filmwahl ist dank des Überangebotes der heutigen Zeit ein Problem, das wir früher so nicht hatten. Ein wahrlich erstklassiges Erste-Welt-Problem. Witzig, dass du dich entschieden hast gerade darüber zu schreiben, denn von denen hab ich hunderte live zu hören und sehen bekommen diese Woche:
Eine viertägige Dschungelexpedition hat mich nämlich mit ein paar Mitstreitern in die Tiefen – oder besser gesagt Höhen – des peruanischen Hinterlandes geführt. Im Gegensatz zu deiner Abundanz in Sachen Filmschätze kitzelt hier die Abwesenheit von Standards diese Erste-Welt-Probleme aus uns heraus. Vor allem die Damen beklagten die Strapazen, welche der Verzicht auf Starbucks und W-LAN so mit sich bringt. Und hätte man nicht vorher „gebrieft“ werden können, dass dem Machu Picchu-Selfie ein schweißtreibender Aufstieg voran geht? Frechheit.
Denn genau das war das Ziel unserer Reise. Die mystische, weltberühmte Bergsiedlung der Inkas, die zurecht zu den neuen Weltwundern zählt. Ein Ort, den man gesehen haben muss. Ein Ort an dem man Bilder macht. Ein Ort, an dem Erinnerungen gemacht werden und von dem man seinen Kindern mal erzählt.
Wie du mit deiner ausgedehnten Filmliste bereiten auch wir uns also auf diesen Moment vor, diese eine Erinnerung. Manche besser als andere. Und wie im Fall mit dem Film bedarf es auch hier einer Portion Glück für die wirklich prägende Erinnerung: Denn es war bewölkt. Und fing dann an zu regnen.
Die Quintessenz ist für mich, dass man so eine Erinnerung wie eben eine gute Party nicht erzwingen kann. Obwohl du Filme so sehr liebst, so viel rein steckst und die Umstände noch so glatt bügelst, macht am Ende doch der Ton die Musik. Und der Film die Erinnerung. Aber soll ich dir was sagen? Es geht auch anders. Denn bei meinem Steckenpferd ist es noch wie früher, als man sich akribisch auf „Wetten dass…?“ am Samstagabend vorbereitete und freute. Als man Filme rot in der Zeitung markierte und den Tag dementsprechend organisierte. Als das Event einen wählte und nicht andersrum à la Netflix.
Ich will es dir erklären anhand der Erinnerungen, die sich schon jetzt aus dem Trip rauskristallisieren:
Als wir Mittwoch durchs Nirgendwo tappten, machten wir halt bei Eingeborenen zum Mittagessen. Doch in der Küche köchelte mehr als nur Quinoa-Suppe: Ich sah drei Männer regelrecht im Dreieck springen begleitet von einem hysterischen Kommentator im Ultraschall-Bereich. Des Pudels Kern: Juventus Turin hatte soeben das 3:0 gegen Real Madrid erzielt und so eine nicht mehr für möglich gehaltene Aufholjagd gemeistert.
Kurz darauf drängten wir Jungspunde uns mit in diese Küche um ein Blick auf den Fernseher und die letzten dramatischen Minuten zu erhaschen. Gekrönt wurde das Schauspiel von einem Elfmeter, den der große Cristiano Ronaldo in letzter Minute eiskalt verwandelte. Und jetzt kommt’s: Daran erinnere ich mich!
Wie wir alle in der Küche aufgesprungen sind. Wie einer der besten Fußballer unserer Zeit auf dem Schirm jubelnd sein Hemd vom Körper riss und das Publikum anheizte. Wie die kollektive emotionale Achterbahnfahrt um das Spiel mit dem Ball den ganzen Raum erfüllte. Ich nenne diese Momente den Biss der Geschichte.
Denn ob man will oder nicht: Als echter Fan erinnert man sich an genau dieses eine Bild aus einem Spiel. Dieser eine Moment wird eingraviert in die Hirnhaut ob man will oder nicht. Ich mag Juve und Real nicht mal besonders und selbst für mich hat das Tor schon Erinnerungswert. Und ich glaube, der Herr Ronaldo weiß genau das und zieht deshalb jedes Mal sein Shirt aus.
Ich hab mal einen Artikel gelesen, wo der Reporter sich genau das fragte nach dem Ronaldo-Treffer zum 4:1 im Finale. Per Elfmeter. In der Nachspielzeit. Hemd weg und Sixpack raus. Was soll das? Ich sag’s euch: Der Typ beißt.
Und zwar in einen großen Happen des Langzeit-Gedächtnisses. Und das nicht nur für seine eigenen Fans, die sich glückselig für immer daran erinnern. Nein, mindestens genauso stark für die gegnerischen Fans. Woran erinnert sich jeder Juve-Fan jetzt? Die Aufholjagd? Den großen Kampf? Die drei Tore? Wohl kaum. Er denkt an das Kryptonit-Kraftpaket in weiß und den Moment der Niederlage. Ob er will oder nicht.
Denn das ist die Krux, das Kribbeln und der Kern des Fußballfan: Die Glückskomponente lässt sich nicht kontrollieren, aber man entscheidet sich. Einmal, einfach und endgültig. Und das bringt die Erinnerungen. Dieser Spannungsaufbau, diese Vorfreude und diese Unberechenbarkeit beißt sich fest. Mal gut und mal schlecht.
Als ich so vor den Toren Machu Picchus stand war meine Vorbereitung für den Ort und die Bilder also weitestgehend abgeschlossen. Die Erinnerungsschublade weit geöffnet. Und dann drangen drei Worte von meinem Nachbarn an mein Ohr:
„Roma drew Liverpool.“ Bang, Klappe zu. Wieso?
Weil ich so um sechs Uhr morgens die Ergebnisse der Auslosung fürs Halbfinale live mitbekam. Und damit wusste: Mein FCB spielt gegen Real Madrid. Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch die Schlange mit wechselnden Reaktionen. Das weiß ich noch genau. Und ich erinnere mich an noch etwas sehr klar:
Ich fing mit der Vorbereitung an. Nicht für Machu und die Inkas. Für Cristiano und die Madridistas. Würde ich dann schon in Ecuador sein? Wenn ja wo? Wie lange ist die Busfahrt? Und wie läuft das mit der Zeitverschiebung?
So oder so, eins ist klar: Ich werde da sein. Und irgendetwas wird mich beißen.