In Reih und Glied

Heute geht’s rückwärts.

Nicht nur, weil es um das Phänomen der Kindheit gehen wird, sondern auch weil es als Wort das schönste und krasseste Gegenteil zu „Vorwärts!“ bildet. Schon in unseren jungen Jahren wird diese Devise als Marschrichtung klar vorgegeben: Wir alle gehen zur Schule und stellen uns der ersten, großen Verpflichtung und Herausforderung unserer Gesellschaft. Das schafft Gemeinschaft und fordert Gleichheit.

Aber wollen wir das unbedingt? Uns in einer Zeit, die so prägend für uns ist, allen anderen anpassen? Grundregeln sind sicher ganz gut, aber genauso wichtig ist doch ein gesundes Maß an Freiheit in dieser Zeit, die uns unserer Bestimmung auf diesem Planeten näher bringen soll. Wir alle erinnern uns doch an wichtige Erlebnisse aus unserer Schulzeit! Welches Wissen ist denn wertvoller und nachhaltig wirksamer, als das über uns selbst?

Mein Studium hat mir das mehr als alles andere klar gemacht. Und da ich dafür länger im Vereinigten Königreich war, wurde mir noch was klar: Bei allem Gemeinschaftsgefühl, Schuluniformen sind Bullshit.
Die Briten haben sie nämlich nach knapp vier Jahrhunderten noch immer, die Kostümpflicht. Und stecken so ihre Kleinen von Kindesbeinen an in den engen Zwirn. Und ich habe immer noch Bock, dagegen zu wettern wie damals im Deutschunterricht. Meine Kleiderwahl: Eine klassische, einseitige Argumentation. Schlicht und leger.

Neben der Tatsache, dass so ein Anzug keinerlei praktische Vorteile hat für die Schulbank – denkt mal drüber nach, hat er nicht – und zudem unbequem ist, sind die „Vorteile“ die immer angeführt werden, in meinen Augen alles andere als haltbar.

Günstiger als freie Kleiderwahl? Falsch. Tragen, was man will ist immer am günstigen. Ein Uniform kostet im Schnitt 240 €, hinzu kommen Anpassungen, Sportkleidung und und und. Und selbst wenn es so preisfreundlich wäre, könnte man sie ja bei freier Kleiderwahl immer noch anziehen!

Beugt Mobbing vor? Falsch. Courage beugt Mobbing vor. Und dazu muss man eben grade lernen, aus der Masse heraus zu stechen. Bei uns gab es Mobbing, aber nie wegen Klamotten, sondern wenn jemand ein Idiot war. Und das kann man auch – oder grade – in Uniform richtig gut sein, wenn ihr mich fragt. Wie soll ein Kind den Grat zwischen falsch und richtig lernen, wenn es von vornerein einen Maulkorb bekommt?

Wollen wir DAS den Kindern beibringen? Dass es einen Anzug braucht, um den anderen als gleichwertig zu betrachten? Soll die Lektion sein, dass wer anders ist, nicht willkommen ist? Wir sind zwar alle gleich viel wert, aber wir sind doch nicht alle gleich. Und Kleider machen vielleicht Leute, aber sie machen keine Freunde.

Und manchmal keine Freude. Nämlich dann, wenn man sie wie im Gefängnis oder Militär aufoktroyiert bekommt: Mein schottischen Mitbewohner Iain sagte mir er hasste es, jeden Tag diese Uniform anzuziehen. Für Jahre. Jeden Tag. Er wurde gezwungen – und das stellt ihr euch bitte mal bildlich vor – seine letzten zwei Jahre in einem braunen Jackett, pinken Hemd und goldener Krawatte abzusitzen! Was soll dieser Quatsch?! Es ist nur zu verständlich, dass die Engelszungen seiner Eltern nötig waren, um ihn für ein Photo am Abschlussball in einen Anzug zu bringen.

In meinem Fall denke ich lächelnd an die Outfits in der Schulzeit zurück: Wie eine Klassenkameradin mal mit loser Krawatte wie Avril Lavigne auftauchte. Oder als Baggy Pants in Mode kamen. Wie ich mich manchmal direkt freute auf den Schultag, weil ich ein neues Bandshirt zum ersten Mal anziehen konnte. Wie manchmal das Einzige, was über einen zehn Stunden Tag geholfen hat, das gute Gefühl der neuen, schönen Schuhe war. Oder ein warmer Hoodie durch den frigiden Physikunterricht half. Einfach mit dem guten Gefühl, ihn zu tragen.

Ich schätze mich also wirklich glücklich im Land groß geworden zu sein, das Humboldt-Prinzip und Walldorfschule hervor gebracht hat. Und seinen Kindern auch in Sachen Kommode größtenteils freie Hand lässt. Unsere Zeit als Kinder kann in meinen Augen nicht genug betont werden. Hier wird verdammt nochmal nichts weniger als der Grundstein für die spätere Identität gelegt und Mode kann ein sehr wichtiger Baustein hierfür sein.

Und deshalb wurde und werde ich jedes Mal traurig, wenn ich die kleinen unschuldigen Pinguine morgens in ihren Käfig waddeln sehe. Als wäre das Wetter und Essen im UK nicht schon trüb genug muss man ihnen auch diese Freude wohl nehmen. Noch immer müssen sie sich morgens ausgedehnt fertig machen und werden in diese Zwangsjacken gesteckt. Wozu?

So sehr ich mich auch bemühe, ich sehe einfach keinen Mehrwert. Ich sehe eine stumpfe Tradition an der blind festgehalten wird, ohne, dass jemand wirklich weiß wieso oder sich dagegen auflehnt. Die fünfzehn-jährige Chloe Spencer sagt, die Schuluniform sei nicht in Mode und sollte genau deshalb bleiben. Totschlagargument Tradition. Hier ein paar Sachen, die noch zur Zeit meiner Eltern „in Mode“ kamen: Homosexuelle, die Pille, Kondome, Pazifisten, Frauenrechte, Rassentoleranz und und und. Ich schätze genau das ist die bittere, stupide Lektion die von Generation zu Generation weiter gegeben werden soll, warum auch immer. War immer so, bleibt so. Basta.

Denn als ich Iain mal fragte, ob es wirklich niemanden gab, der sich mal dagegen aufgelehnt hat, kam seine Antwort prompt: Nein, nicht einmal. Nicht Einen gab es, der sich mal gefragt hat, was das überhaupt soll und geweigert hat, mitzuspielen. Obwohl alle es ätzend fanden, natürlich nur hinter vorgehaltener Hand.

Von meiner Seite ist das skandalös, aber andererseits verwundert es mich auch so gar nicht. Die australische Professorin Jennifer Craik verfechtet die Uniform mit der Begründung, dass so nicht nur Körper und Verhalten kontrolliert würden, sondern zusätzlich persönliche Attribute im Einklang mit den Schulidealen gefördert würden. Nicht im Einklang mit der potentiellen Persönlichkeit der Kiddies wohl gemerkt. Wer will auch sowas?

So sprechen sich in öffentlichen Umfragen die braven Zöglinge natürlich größtenteils für das Korsett aus. Anonyme Umfragen sprechen aber eine ganz andere Sprache. Sowas kommt von sowas. Denn wie gesagt, die Schulzeit ist eine prägende Zeit. So oder so.

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