Das Streben nach Singularität

Nachdem im vorangegangenen Artikel das Thema der „Digitalisierung“ und deren Folgen und dem mit ihr einhergehenden Wandel der Gesellschaft aufgegriffen wurde, möchte auch ich mich mit diesem Artikel kurz zum Thema äußern. Denn auch mir ist es schon zu häufig so ergangen:

Wer nach dem Weg oder etwas anderem fragt, bekommt meistens statt einer Antwort zunächst einmal diesen fragenden Gegenblick mit der Aussage „Hast du kein Handy“? Gespräche mit einem Fremden anzufangen oder auch im Bus, Zug oder Cafe´s ein nettes Gespräch zu beginnen, scheint vor allem in Deutschland immer mehr „verpönt“ zu sein und gilt beinahe schon als unhöflich. Während früher das „Nicht-in-die-Augen“ schauen als unhöflich galt, scheint es heute ganz normaler Alltag sich mit den Blicken in sein Smartphone zu vertiefen und jeden möglichen Augenkontakt mit Fremden mehr und mehr zu vermeiden und auszuweichen.

Ich denke häufig darüber nach, wie es sich wohl anfühlt, wenn man seit dem frühen Kindesalter (was heute der Fall ist) mit dem Smartphone aufwächst und eine Welt, in der zufälliges „bei jemandem vorbei schauen um persönlich zu fragen ob der- oder diejenige Zeit hat“ noch Gang und Gebe war. Und in der eine Welt auch ohne technische Helfer wie Google-Maps, Eat-Smarter und Tinder funktionierte.

Ich glaube für die heutige Generation ist das Smartphone nicht mehr nur ein netter Begleiter, es ist viel mehr ein Existenzmittel, bei dessen Verlust man nahezu aufgeschmissen scheint und ohne welches man sich völlig verloren und einsam in einer Welt von rund sieben Milliarden Menschen fühlt.

Was mir ebenso große Sorgen bereitet ist das Überangebot und eine langsam über den Kopf wachsende Anzahl von Apps und digitalen Hilfsmitteln, zu deren Nutzung mich die Gesellschaft geradezu verdonnern möchte. Der Druck bestimmte Apps oder Anwendungen zu nutzen, ist in meiner Generation (Jahrgang 94) allgegenwärtig. Klar liegt die Entscheidung was ich nutze und wie viel ich es nutze immer noch bei mir selbst, aber bei manchen Dingen hat man beinahe keine andere Wahl mehr es zu nutzen, wenn man auch nur halbwegs „up-to-date“ bleiben möchte.

Für die Uni und mein Studium benötige ich z.B. Facebook, für meinen Nebenjob die App „Doodle“, für das Verwalten meiner Finanzen die entsprechende Banking-App und für mein soziales Dasein Social Media, wie „Instagram“, „WhatsApp“ und C.o. Hinzu kommen Freizeit und Urlaubs- Apps, die ich natürlich freiwillig nutze, die mich aber dennoch manchmal in ihrer Gesamtheit überfordern.

Das wäre jetzt die Stelle, an der man wilde Studien betreiben könnte, die mir genau sagen wie oft ich am Tag den Blick aufs Handy betätige und wie viel Zeit all diese Apps mir jeden Tag mehr oder weniger stehlen. Aber um ehrlich zu sein, möchte ich das lieber gar nicht wissen. Das Internet und das Smartphone wurden einst erfunden und eingeführt, da sie unser Leben bereichern und vereinfachen sollten. In der Realität hat sich dieses jedoch zu einem Paradoxon entwickelt, da sie zwar in vielerlei Hinsicht Dinge erleichtern, dadurch aber auch enorm viel Komplexität erfordern sowie auch aufbauen.

Das Handy ab und zu mal ausschalten tut natürlich hin und wieder gut. Aber wir alle haben Freunde, die sich im Nachhinein über die späte Antwort beschweren und ich persönlich empfinde beim längeren Ausschalten tatsächlich manchmal schon ein schlechtes Gewissen (Was ich hasse, sich allerdings nur schwer ändern lässt). Vor sich schiebt man dann Berge von imaginären Nachrichten her, sodass man das Handy am liebsten für immer „Aus“ lassen würde, auch weil sich die letzten Tage so befreiend angefühlt haben. Nicht erreichbar zu sein, und dabei auch im Kopf auf Urlaub umzuschalten, ist heutzutage definitiv der Luxus unserer Zeit geworden.

In all diesem Überangebot, das wir tagtäglich bewältigen und durch dessen Dschungel wir uns immer wieder aufs Neue kämpfen, suchen wir in Wahrheit jedoch alle nur nach Einem: Dem Phänomen der Singularität.

Der Begriff der Singularität meint nach dem deutschen Soziologen Andreas Reckwitz „Das Besondere“ und „Das Einzigartige“ in kultureller und gesellschaftlicher Hinsicht.
Singularisierung beschreibt „[…] das kompliziertere Streben nach Einzigartigkeit und Außergewöhnlichkeit, die zu erreichen freilich nicht nur subjektiver Wunsch, sondern paradoxe gesellschaftliche Erwartung geworden ist. […]

Laut Reckwitz spielt Singularität in der Spätmoderne eine zunehmend entscheidende Rolle und führt immer mehr zu einem strukturellen Wandel der Gesellschaft. Das Leben wird zu einer Art Theaterstück und das Internet dient als Affektmaschine.

„[…] Im Modus der Singularisierung wird das Leben nicht einfach gelebt, es wird kuratiert. Das spätmoderne Subjekt performed sein (dem Anspruch nach) besonderes Selbst vor den Anderen, die zum Publikum werden. Nur wenn es authentisch wirkt, ist es attraktiv. […]“

Eine Aussage, die zutreffender nicht sein könnte. Und mal ehrlich: Wir müssen uns Facebook, Twitter und Instagram nicht genauer ansehen um zu wissen, dass es zu mehr als 90% der reinen Selbstdarstellung dient. Wir nutzen es alle um miteinander in Kontakt zu bleiben, aber über die Jahre entwickelten sich diese Medien vor allem dazu den Rest der Welt vom eigenen Leben teilhaben zu lassen, die eigene Identität zu präsentieren und um „Das Besondere“, „Das Einzigartige“ zu sein. Mit Freunden, Momenten und Fotos, die einzigartig sind.

Heute geht es mehr und mehr darum aufzufallen, aus der Masse herauszustechen und „Das Besondere“ auf den sozialen Plattformen zu sein. Mit den atemberaubendsten Orten und den dazugehörigen atemberaubenden Fotos. Nur danach streben die Meisten.

Und vergessen dabei immer wieder, dass nicht das Foto auf Instagram, sondern die Erinnerung in unserem Kopf und die Erfahrungen, Emotionen und Gefühle, die wir an diesen Orten und in diesen Momenten empfinden, uns zu dem machen was wir sind: Dem Besonderen und Einzigartigen.

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