Klima schafft Mentalität (?)

Heute bekam ich die erste Kostprobe des australischen „Winters“ zu spüren. Und so komisch das klingen mag: Der kühle, bewölkte und nass-kalte Montag war mal eine willkommene Abwechslung. Denn dank meinem Abstecher auf die Südhalbkugel befinde ich mich seit mittlerweile acht Monaten im Dauer-Sommer.
Und so langsam bemerke ich: Mir fehlen die Jahreszeiten.

Wie so oft zeigt sich erst, was einem etwas wert ist, wenn man es verliert. Und die Ferne lehrt am besten, was aus der Heimat fehlt. So konnte ich bestens nachvollziehen, als ein guter Freund mir neulich schrieb, er freue sich auf den Herbst. Auf das Runterfahren nach einem aktionsreichen Sommer.

Ich weiß genau, was er meint: Sich in eine Decke rollen mit einem guten Buch und einem Tee, während draußen der Wind peitscht. Ein Feuer im Kamin anzünden, während der Regen auf das Dach prasselt… Das krasse Kontrastprogramm zum sommerlichen Sturm und Drang.

Ich fand diese Wechsel immer herrlich. Und ein Jahr ohne Weihnachten ist für mich kaum denkbar. Kein Advent, zur Ruhe kommen, besinnen. Keine Mandarinen und Erdnüsse. Keine kalten Nächte und warmen Plätzchen. Keine Zyklen, nur immer-blauer Himmel.

Aber ist an der Stelle nicht interessant, wie sehr doch das Wetter unser Verhalten beeinflusst? Ich hatte hierzu vor ein paar Jahren in einer Bar mal einen Gast mit einer interessanten Tresen-These: Klima schafft Mentalität. Angestoßen von Themengang und Trinkkumpan entlarvte der nette Herr so Mutter Natur als Sündenbock für die wirtschaftlichen Misere der südeuropäischen Länder. Seine Argumentation:

Aufgrund der frostigen Winter und starken Schwankungen der Jahreszeiten sind Nordvölker doch seit jeher gezwungen, voraus zu denken. Nur wer Vorräte sammelt für den langen Winter – genug Holz schlägt, Nahrung einlagert und winterfeste Kleidung parat hat – nur der wird überleben.

Probleme, die sich im Mittelmeer-Raum so nicht finden. Gewissenhaftes Vorausdenken und zukunftsorientierte Planung sind hier sekundär, es wird vielmehr „in den Tag hinein“ gelebt. Ein Wappnen für „dünnere“ Zeiten scheint so kaum in den Sinn zu kommen. Inwiefern sich das auf ganze Volkswirtschaften übertragen lässt, sei dahin gestellt. Aber der Mann hat einen Punkt: Die Macht des Wettergottes über unser Verhalten sollte man nicht unterschätzen.

Als ich in Schottland lebte, merkte ich schnell, warum ausgerechnet hier die Pubs so heimisch und gemütlich sind. Das Wetter treibt einen dazu, den ganzen Tag darin verbringen zu wollen. Der Dauerregen, Nebel und Wind haben aus den Briten über die Jahrhunderte und Jahrtausende die weltweiten Experten in Sachen Pubs gemacht.

Und dafür gesorgt, dass sich meine italienischen Kommilitoninnen vor allem nach einer Sache sehnten: Ein abendliches Glas Rotwein unter freiem Himmel. So wie in der Toskana. Oder Andalusien. Denn hier spielt sich das Leben draußen ab. Die ganze südländische Kultur lebt bekanntlich vom Puls der Straße, vom Sehen und gesehen werden. Von langen Nächten dank konstant milden Außentemperaturen.

Und wer diese Länder mal in der Mittagshitze erlebt hat, der versteht so manches besser: Warum die Gassen so eng sind, zum Beispiel. Oder eine Siesta um zwei Uhr einfach sein muss. Oder leichte Küche einfach bekömmlicher ist. Im Gegensatz dazu machen die kalorienreichen Gerichte der Insel oder die Sagen von Feen und Kobolden vielmehr Sinn, wenn man die Klimaverhältnisse – und zugegebenermaßen die Whisky-Produktion – in den Highlands mal hautnah erlebt hat.

Ich glaube, wir vergessen über unserem alltäglichen Gewusel manchmal den Himmel über unserem Kopf. Und pochen auf die Dinge, die wir selber in die Hand nehmen und formen. Dabei formen uns doch viel größere Kräfte schon viel länger. Wir nehmen das Wetter als gegeben hin, aber das heißt nicht, dass es nicht auch einen Einfluss nimmt. Andauernd.

Und auch wenn ich meinem Thekengast von damals nicht vollständig zustimme, so finde ich es doch bemerkenswert, wie stark das Sein unser Bewusstsein prägt. Und wie auffallend viele kulturelle Muster doch zumindest eine kleine Wurzel im Wetter haben. Sei es stetig oder saisonal.

Manche kommen nach Down Under, weil sie gutes Wetter einfach mögen. Immer. Ich für meinen Teil bin aber seit jeher ein Kind der Jahreszeiten und damit der steten Abwechslung. So halte ich es eher mit einem arabischen Sprichwort, das ich vor langer Zeit mal irgendwo gehört habe: „Wo immer Sonne scheint, ist Wüste.“

Mein australischer Mitbewohner hat heute den Schreibtisch gehütet und verbal den Niederschlag nieder gemacht. Ich dagegen war lang spazieren und kann nur sagen: Gut, dass es heute mal geregnet hat.

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