Gordische Knoten

Im Frühjahr 333 v. Chr. war Alexander der Große auf dem Vormarsch Richtung Persien, als er vor dem berühmten gordischen Knoten stand. Dieses komplexe, kunstvolle Gewirr aus dem Bast der Kornelkirsche verband die Deichsel mit dem Zugjoch am Streitwagen des phrygischen Herrschers Gordios. Und ein Orakel verband mit dem königlichen Knäuel die Legende, dass wer immer diesen Knoten zu lösen mag, der Herrscher von Asien werden sollte.

Was also tat Alexander? Er zog sein Schwert und schlug den Knoten einfach in der Mitte durch. So lief diplomatische Außenpolitik damals. Natürlich alles anders heute. Dieses antike Barbarentum haben wir mit unserem langen Gang zur Demokratie mit cleveren Staats- und Sozial-Konstrukten längst hinter uns gelassen.

Sollte man meinen zumindest. Denn schockierenderweise haben wir auch nach mehr als 2.300 Jahren noch immer die Tendenz, zum Schwert zu greifen, wenn wir vor einem Knoten stehen. Noch immer werden komplexe Probleme auf einfache, meist brachiale Lösungen reduziert. Schwarz und Weiß. Gut und Böse. Wir suchen diese simplen Ausfahrten, weil wir sie lieben. Und weil wir immer eine finden.

Vergangene Woche verliert die große Serena Williams das US Open Finale und wird dabei dreimal verwarnt vom Schiedsrichter. Wegen unerlaubtem Coaching, Schläger zertrümmern und wegen Beleidigung gegen den Offiziellen. Und weil für ausgefeilte Argumentation hier nicht wirklich Spielraum für die Dame ist, sie ihren Ausraster aber irgendwie begründen muss, wirft sie die gute, alte Sexismus-Bombe in den Ring und sagt, sie fühle sich vom Mann auf dem Stuhl als Frau angegriffen.

Und schon applaudieren die Journalisten für dieses mutige „Statement“. Denn Sexismus ist etwas Böses und da ist man dagegen als anständiger Bürger. Bravo Serena! Dass hier völlig der Kontext geändert wurde, weg von der ursprünglichen Frage, scheint niemanden außer mir sonderlich zu stören.

In ähnlicher Weise wirft man Quarterback Colin Kaepernick mittlerweile vor, er hasse das US-Militär. Obwohl er ursprünglich gegen Polizeibrutalität gegenüber Schwarzen protestiert hatte. Kein einfaches Thema. Ihr seht: Schlichte Fragen, Sündenböcke und Skandalthemen müssen her, wenn der sachliche Dialog zu schwierig wird.

Und genau hier liegt die Gefahr: Denn wenn ich mich so umschaue, sehe ich dieses Verhalten immer mehr bei Vertretern, die wir als Volk repräsentativ wählen, um die angebrachten Lösungen zu finden. Eben grade, weil sich diese Fragen nicht so leicht beantworten lassen.
Ich sehe immer weniger Diskurs und immer mehr Hetze. Anstatt zu diskutieren, diffamieren wir viel lieber. Kriegen uns in die Haare über Symptome, anstatt Ursachen zu untersuchen. Warum?

Ist einfacher und geht schneller. Denn Probleme wie die Ausländerintegration sind komplexe Knäuel, die sich nicht so leicht entwirren lassen. Das frustriert und schürt Ärger. Und die Sehnsucht nach simpleren Auswegen.
Und schafft einen idealen Nährboden für autoritäre Anführer.

Die Putins, Trumps und Erdogans fühlen sich damals wie heute nämlich am wohlsten im Magnetfeld zwischen Plus- und Minuspol. Pluralistische Gesellschaften meiden sie wie der Teufel das Weihwasser, aber in gespaltenen Ländern geht ihre Saat wunderbar auf. Denn sie liefern was? Genau: Einfache Lösungen.

Immigranten aus Mexiko? Mauer bauen.
Kritik aus der Presse? Journalisten einsperren.
Spannungen mit Nordkorea? Atomschlag androhen.

Merkt ihr was? Immer mit dem Schwert in der Hand. Denn sobald der Generalschlüssel nicht passt, wird einfach die Tür eingeschlagen. Das löst das Problem aber nicht. Für die heutigen Türen brauchen wir feine Dietriche, keine groben Äxte. Und Geduld statt Gewalt. Denn sonst verrohen die Debatten, Verblendung setzt ein und man verliert den Blick für das Wesentliche.

Leider gerade auch in meiner geliebten Heimat. Hier diskutiert man über ein Konzert und wie angebracht es ist anstatt zu thematisieren, dass hier eigentlich mal wieder der Umgang mit Flüchtlingen das Problem ist. Symptom statt Ursache.

Und auch hier wird der Ton unaufhaltsam immer rauer. Ein Schritt zu weit rechts und man ist Nazi. Ein Schritt zu weit links und man ist Gutmensch. Sofort und mit jeder Faser, abgestempelt, drin in der Schublade. Man ist Deutscher oder Türke, kein Deutsch-Türke. Grauzone Fehlanzeige.

Diese Lagerbildung ist extrem gefährlich und das schafft Konflikte und aufgeheizte Stimmung. Gerade in Deutschland sollten wir wissen: Das macht Diktaturen stark.

Was tun also? Was ist die Lösung des Problems? Genau das ist der Punkt. Denn das lässt sich nicht so einfach sagen. Sondern das müssen wir zusammen ausbaldowern, Stück für Stück.

Und das tun wir, indem wir das Schwert mal aus der Hand legen und wieder versuchen, die Leute zu verstehen und zu überzeugen. Den Anderen hören. Und den Diskurs wieder mehr differenzieren. Das fehlt mir in diesen Tagen. Es klingt idealistisch und leichter gesagt als getan, aber wir müssen es versuchen.

Denn wer schnell verleumdet und Andersdenkende auf ein einfaches Prädikat reduziert, anstatt sie ausreden zu lassen, der schafft nur stille Wut, die sich dann an der Wahlurne rächt. Und torpediert unsere Chance und Aufgabe, das moderne Knäuel zu entwirren.

Mein Vater sagt gerne, dass wir miteinander reden müssen. Weil uns das als Menschen von den Tieren unterscheidet. Und ich rede mir gerne ein, dass wir als Zivilisation doch verdammt weit gekommen sind auf diesem Planeten. So weit, dass wir uns selbst immer komplexere Probleme auf immer höheren Ebenen geschaffen haben. Und diese erfordern nun mal komplexe Lösungen. Und das müssen wir einfach akzeptieren. Nur so entwickeln wir uns weiter als Gesellschaft.

Denn wozu zu einfache Lösungen führen, haben die Gräueltaten im vergangenen Jahrhundert gezeigt. Hier haben die vermeintlich höchst-entwickelten Nationen sich gegenseitig die fürchterlichsten Dinge angetan. Dahin führt die Abkehr vom Fortschritt. Heutzutage wählen wir Politiker in Parlamente, streben nach Gerechtigkeit und immer besserem Zusammenleben. Aber es wird immer schwieriger, je dünner die Luft wird. Und die Versuchung nach Vereinfachung bleibt in uns.

Ich denke wir stehen heute mehr denn je vor gordischen Knoten. Und ich hoffe wir haben etwas gelernt. Denn wir leben nicht mehr in Zeiten von Alexander dem Großen. Und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich bin dankbar dafür. Denn mit Blick in den Rückspiegel sollten wir uns eins mal fragen:

Haben Schwerter uns hier hingebracht?

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