Catch-22

Da letzte Woche die Komplexität gepriesen wurde auf dem Königspfad der modernen Welt, möchte ich mich heute der anderen Seite der Medaille zuwenden: Den einfachen Dingen. Und warum sie manchmal am besten einfach einfach bleiben sollten.

Hätte Frank Mill damals 1986 den Ball einfach ins leere Tor geschossen, hätte selbst ich als Sportfan wahrscheinlich nie von ihm gehört. Habe ich aber. Weil er den Ball stattdessen beinahe komödiantisch verstolperte und kunstvoll an den Pfosten schoss. So wird das Vermächtnis dieses großartigen Stürmers von Youtube und Co. auf „einen der berühmtesten Pfostenschüsse der Nachkriegszeit“ reduziert. Wegen einer falschen Entscheidung. Fußball kann grausam sein.

Auch die Seattle Seahawks verkomplizierten in berüchtigter Weise im 49. Superbowl die Dinge beim finalen Spielzug. Anstatt den letzten Yard in die Endzone zu erlaufen, entschied man sich für einen Pass. Der beim Gegner landete. Und so dem Patriots-Spieler Malcolm Butler einen der „größten Momente der neueren Super-Bowl-Geschichte“ verschaffte. Die Entscheidung gegen den einfachen Spielzug über Läufer Marshawn Lynch wird heute noch von Fans als schlechtester Spielzug der NFL Geschichte bezeichnet.

Einzelsituationen, die verkompliziert und über analysiert wurden. Mit gravierenden Folgen. Selbstredend würden die Beteiligten sofort ihre Wahl revidieren, brachial simplifizieren, kannten sie die Konsequenzen. Aber genau das ist die Krux: Denn sobald wir diese kennen, ist es zu spät, die Entscheidung zurück zu nehmen.

Dilemmas dieser Art bezeichnet man im Englischen auch als „Catch-22“. In den Sprachgebrauch eingeführt wurde dieser Begriff vom englischen Autor Joseph Heller in seinem gleichnamigen satirischen Roman im Jahre 1961. Hier wird die Zwickmühle eines Soldaten geschildert, der der Hölle des Krieges entkommen will und dafür das Prädikat „geistesgestört“ benötigt. Um dieses zu erlangen, muss er jedoch einen formellen Antrag einreichen. Was als Zeichen für geistiges Beisammensein interpretiert wird. Der Catch 22 ist also, dass in dem militärischen Gefüge niemand den Status „geisteskrank“ erreichen kann, selbst wenn er es ist.

Als klassisches, gängigeres Beispiel dient folgendes Szenario: Wie soll ich eine verschlossene Tür öffnen, wenn der Schlüssel auf der anderen Seite der Tür ist?

Oder ein aktuelles, persönliches Beispiel: Meine Bank will zum Verifizieren des Kontos meinen Telefonvertrag. Doch die Telefongesellschaft will zum Abschluss eines Vertrages ein gültiges Bankkonto sehen. Was soll ich tun? Catch 22.

Oder wie wir alle wissen, dass man sich nach getaner Arbeit gut fühlt. Aber gleichzeitig weiß, dass man sich erst mühsam dazu überwinden muss. Oder sich eben mies fühlt, wenn man es schleifen lässt.

Oder wenn man den wöchentlichen Blog-Artikel über die Einfachheit von Entscheidungen anhand von Sportbeispielen schreibt und einem dann auffällt, dass das Ganze irgendwie ins Leere läuft. Weil man an Jay Jay Okocha denkt, der gerade wegen seines unnötig komplizierten Solos – oder vielmehr Tänzchen – mit Oliver Kahn für immer in glorreicher Erinnerung bleibt.

Und man so eigentlich direkt wieder auf Feld eins steht. Manchmal beißt sich die Katze eben in den eigenen Schwanz. Und dreht sich einfach einmal im Kreis, ohne Moral oder Sinn oder Regel. Hätte ich das gewusst, hätte ich vielleicht über was Anderes geschrieben.

Über was Cleveres, Ausgefallenes. Wie, dass auch Uhren zeitlos sein können. So ein richtig gehobenes, stilechtes, kleines Meisterwerk, gespickt mit allerlei Sprachakrobatik und Feinmotorik, raffiniert wie Industriezucker und auf den Punkt wie ein Chronometer.

Und mit wohl temperierter, ausgeklügelter Message. Dann würde ich nicht damit da stehen, dass die Botschaft auch mal sein kann, dass es nicht immer eine Botschaft gibt.

Ich meine, wer endet schon seinen Artikel so?

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