Der Ton und die Musik

Heute war es schließlich soweit. Es ging einfach nicht mehr. Es war nicht leicht, aber sobald ich los gelassen hatte, fühlte ich mich besser.

Und bestätigt in meiner Entscheidung, eines der einflussreichsten und bekanntesten Werke der amerikanischen Literatur nach einem knappen Drittel abzubrechen. Mark Twains „Huckleberry Finn“ gilt als ein absolutes Schlüsselwerk und streitet sich wohl mit dem „Zauberer von Oz“ und vielleicht „Moby Dick“ um den Titel des Kultwerks schlechthin im Bezug auf den amerikanischen Traum.

Aber den Kampf um meine kostbare Zeit hat es heute verloren. Obwohl ich begeisterter Leser bin. Und schon „Tom Sawyer“ gelesen habe. Und Mark Twain richtig sympathisch finde als Typen. Aber gemäß einem Ratschlag des amerikanischen Unternehmers und Psychologen James Clear folge ich neulich der Devise, Bücher und Filme konsequenter abzubrechen. Einfach, weil es zu viele andere, gute, bessere Quellen da draußen gibt.

Das Faszinierende an der Sache ist: Mein Desinteresse an Twains Meisterwerk wurzelt in seiner größten Stärke. Dem für die damalige Zeit revolutionären Erzählstil nach dem Motto „Telling it as it is“. Wie sich heraus stellt, ist aber eben das nichts für mich. Die Art und Weise, wie eine Geschichte erzählt wird, kann so wichtiger werden als die Geschichte selbst.

So habe ich Huck Finns Vita in zehn Minuten via Wikipedia beendet, obwohl ich die Geschichte nicht kenne. Und werde mich als nächstes J. R. R. Tolkien und dem epischen „Lord of the Rings“ widmen, obwohl ich den Plot hier dank der Filme schon größtenteils erschlossen habe. Denn ich bin gespannt auf die Farben, mit denen Tolkien sein Bild malt. Und wie er seine Geschichte erzählt.

Ich erinnere mich noch genau an einen Sonntagabend vor ein paar Jahren, als ich zufällig in den Anfang des Films „Jumper“ sprang. Und dann nach einer knappen halben Stunde wieder absprang. Bis heute kann ich nicht erklären, was mir an dem Film nicht gefällt. Keine schlechte Story, gut gemachtes Bild und Schnitt, knackige Actionszenen… aber irgendwie kommt die Geschichte nicht bei mir an. Es funkt nicht. Ich glaube dem Erzähler nicht, kann aber nicht logisch nachvollziehbar sagen wieso. Einfach ein schlechter Film für mich.

Da ihr mich aber als erbitterten Feind undifferenzierter Kritik kennt, muss ich doch etwas tiefer Ursachenforschung betreiben über diesem Phänomen. Darum geht es ja unter Anderem hier. Vielleicht liegt es daran, dass mir Filme neuerdings einfach zu vollgepackt sind. Letzte Woche hab ich mit „The Amazing Spider Man 2“ einen Film auf meiner Liste abgearbeitet. Und war völlig überfordert bei der Sache. Hier ein kurzer Überblick über das, was der Film mir zeigen will:

Drei Bösewichte, deren Evolution, Hintergrundgeschichte und Verhältnis zum kostümierten Titelheld, eine komplizierte Liebesgeschichte, das Rätsel um das Ableben der Eltern von Spidey, die Problematik im Verhältnis zur Tante May, komplexe Forschungsprojekte eines dubiosen Pharmazie-Konzerns, und in der Mitte ein von Selbstzweifeln geplagter Protagonist, der mit all dem und noch mehr auf verschiedenen Ebenen kämpft. Alles in etwas mehr als zwei Stunden. Hallo?!

Natürlich ist das Erzähltempo hier Formel-1 verdächtig. Und die Optik lupenrein. Aber das macht es nicht zu einem guten Film, sondern wirkt eher hektisch auf mich. Die Frequenz ist zu hoch und ich empfange nur schwache Signale in diesem Wellenbereich. Und ja ich bin mit der Erwartungshaltung auf kurzweilige Unterhaltung ran gegangen, aber die Erzähltechnik dieses Technikspektakels hat einfach einen kontraproduktiven Effekt:

Denn bei dem Versuch, so viel und noch mehr mitzugeben, geben mir diese Filme irgendwie am Ende gar nichts mit. Und bei all der Action überraschen mich die Filme nicht mehr. Ich plädiere für ruhigere Geschichten, die sich Zeit nehmen und den Plot gut vor- und aufbereiten. Daher steht auf meiner nächsten fiktiven Türklingel der Name J. R .R. Tolkien. Ich suche einen Künstler der Langsamkeit. Einen Meistererzähler.

Unter Gitarristen sagt man sich „Tone is in the fingers“. Ein unbeschreibliches Flimmern zwischen den Zeilen, dass den Sound einzigartig und irgendwie einfach gut macht. Es lässt sich mit Worten nur unzureichend beschreiben, aber Flea hat glaube ich mal gesagt: „A good musician can play a simple note and it’s a beautiful thing.“ Und am Ende macht dieser Ton die Musik.

Ich sehe Filme seit jeher als eine gute Quelle für Inspiration und Denkanstöße. Und habe daher als nächsten Film auf meiner Liste „Limitless“ angepeilt. Es geht um eine bewusstseinserweiternde Droge, die einem verzweifelten Schriftsteller aus der Not hilft. Zum Preis von dementsprechenden Nebenwirkungen. Klingt interessant. Und vielleicht steckt ja auch für mich in diesem Film etwas drin, das eine Tür in meinem Kopf aufmacht. Vorausgesetzt der Erzähler trifft den Ton.

Heute Abend setze ich mir die Ohrhörer auf und drücke auf Play.

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