Gärtner und Architekten

Es beginnt also mit einer Idee. Wie so vieles. Aber was kommt dann? Denn ob schlussendlich auch etwas aus dem Geistesblitz wird, steht noch einmal auf einem ganz anderen Blatt und gestaltet sich oft als langwieriger und schwieriger Prozess. Deshalb habe ich letzte Woche mal wieder eine Lanze gebrochen für die Macher unserer Zeit. Denn Ideen haben wir so gut wie alle. Aber nur was wir daraus machen, ist was von uns bleibt.

Und darum geht es diese Woche, um das Machen. Um den Umgang mit der eigenen Kreativität. Und das, was nach der Idee kommt. Denn es gibt hier zwei Arten von Künstlern. Und die will ich euch heute zeigen.

Fangen wir an mit George R. R. Martin, dem Schöpfer der zuvor erwähnten Bücherreihe „A Song of Ice and Fire“. In einem empfehlenswerten Interview über den Schreibprozess erläutert er hier den Schriftstellertyp des „Architekten“:

Der Architekt hat seine ursprüngliche Idee im Kopf nahezu vollständig entwickelt, bevor er mit der Umsetzung und dem eigentlichen Schreiben beginnt. Der Bauplan steht, bevor die erste Spatenstich erfolgt. Alles ist minutiös geplant, bevor die erste Silbe zu Papier gebracht wird. So gut wie nichts ist dem Zufall überlassen.

Das Pendant dazu ist der „Gärtner“. Der Gärtner hat keinen stringenten Plan und arbeitet wesentlich intuitiver und spontaner. Er ist sich größerer, äußerer Einflüsse bewusst und formt seine Werke dementsprechend als Reaktion darauf. Fasziniert von der Kunst an sich experimentiert er freudig damit, um zu sehen, wo die Reise hingeht.

Was wir hier sehen sind zwei völlig unterschiedliche Ansätze, eine Idee zu verarbeiten. Planer und Praktiker. Perfektionist und Progressist.

Bestseller-Autor Malcolm Gladwell erläutert die zwei Gattungen ebenfalls meisterhaft in seinem Podcast „Revisionist History“ , den ich euch nur ans Herz legen kann. Anhand des Beispiels der Evolution des weltbekannten Songs „Hallelujah“ kristallisiert Gladwell die Unterschiede im Prozess einer Idee heraus. Denn so schillernd und ausgefallen die Individuen doch sind, sie fallen in zwei Kategorien:
Konzeptionelle und experimentelle Innovatoren.

Picasso stürmt die Kunstszene in seinen frühen Zwanzigern, schafft seine Meisterwerke früh, präzise und nach einer exakten Vorstellung. Ein klassischer Architekt.

Auf der anderen Seite steht Paul Cézanne, der nie so wirklich weiß, wo er eigentlich hin will. Er malt einfach drauf los, bricht viele Werke mittendrin ab und verliert sich im Prozess durch unzählige Neuversuche, Überarbeitungen und Irrwege. Ein Gärtner wie aus dem Bilderbuch.

Das Prinzip der konzeptionellen und experimentellen Kreativität geht auf den Ökonom David Galenson zurück. Und das Bemerkenswerte in dieser Theorie liegt darin, dass sie sich auf so viele Felder übertragen lässt:

Allein Gladwell’s Recherche erwähnt neben Malern außerdem Schriftsteller, Regisseure und Musiker auf die diese beiden Beschreibungen passen wie die Faust aufs Auge. Die einen planen akribisch und setzen ihre Idee dann konsequent und zielstrebig um. Die anderen probieren immer wieder Neues und sind nie wirklich fertig.

Und auch ich muss nicht lange suchen, um Gärtner und Architekten zu finden: Vor ein paar Tagen las ich einen Artikel über den „Stromkrieg“ Ende des 19. Jahrhunderts. Hinter dem Kampf zwischen Gleichstrom und Wechselstrom steht der Konflikt zwischen zwei weltbekannten Erfindern: Thomas Edison und Nikola Tesla.
Wer genauer hin schaut, merkt sofort, dass die beiden sich als Erfinder gewaltig unterscheiden:

Tesla hat eine detaillierte Vision im Kopf, einen fertigen Bauplan. Er sieht Erfindungen wie die neuartige Zweiphasen-Synchronmaschine, bevor sie entstehen.

Edison dagegen gilt eher als pragmatischer Erfinder. Er experimentiert viel nach dem Prinzip „Trial and Error“ ohne wirkliche Hintergründe zu erforschen oder Theorien zu formulieren. Für die Glühbirne braucht er der Legende nach mehre tausend Versuche.

Die Frage, wer hier welche Rolle übernimmt, spar ich mir.

Und die, als welchen Typ ich mich denn jetzt sehe, umgehe ich geschickt indem ich sage: Ich bin irgendwie ein bisschen von beidem. Ich mag den Fokus auf ein Ziel, den der Architekt mit sich bringt. Genauso genieße ich aber auch den Weg wie der Gärtner.

Derzeit bin ich aber wohl dem Botaniker etwas ähnlicher. Und schreibe hauptsächlich um des Schreibens Willen. Und will mich um Himmels Willen nicht mit Edison vergleichen hier. Die Sache mit der Glühbirne klingt ungeheuer frustrierend. Ich kann keine Lampen erfinden.

Mir reicht es, Artikel zu schreiben und irgendwo vielleicht welche anzuknipsen.

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