Die schweigende Mehrheit

In einem empfehlenswerten Interview sagt der Schriftsteller George R. R. Martin einen bemerkenswerten Satz: „Art is not a democracy.“

Der Macher des bahnbrechenden Fantasy-Epos „A Song of Ice and Fire“ spielt damit auf Vorschläge seiner Fans an, wie er denn am besten die Geschichte fortsetzen solle, die zweifelsohne sein Lebenswerk darstellen wird. Hier liegt die Betonung: Sein Lebenswerk.

Im letzten Artikel „Krumme Pfeile“ ging es darum, wie Kunst-Konsumenten aktiv als Medium in den Prozess eingreifen können. In diesem Artikel geht es darum, warum das nur begrenzt funktioniert. Und wo diese Grenze liegt. Warum Kunst keine Demokratie ist. Warum trotzdem Mehrheiten hier eine Rolle spielen. Und warum Kritik Respekt braucht.

Denn quasi über Nacht hat die Welt ein paar Millionen Drehbuchautoren mehr. Schuld daran: George R. R. Martin. Und sein Lebenswerk. Besser gesagt: Die sensationell erfolgreiche TV-Adaption dessen. „Game of Thrones“ hat Millionen begeisterte Zuschauer weltweit über ein knappes Jahrzehnt in den Bann der fiktiven Welt „Westeros“ gezogen.

Und sich so selbst vor eine Herkules-Aufgabe gestellt: Die Saga angemessen zu beenden. Im Schatten eines der monumentalsten Hypes unserer modernen Zeit. Im Angesicht einer ebenso fanatischen wie zahlreichen Anhängerschaft. Wie ihr sicher im Subtext merkt, ist die griechische Tragödie hier regelrecht vorprogrammiert. Das Drehbuch schreibt sich fast von selbst…

Es gibt natürlich einen Aufschrei. Es gibt natürlich eine regelrechte Revolution. Oder besser gesagt: Eine Revolte. Gegen jene, die das finale Drehbuch schrieben. Den Machern der Show D.B. Weiss und David Benioff fehlt hier die Buchvorlage. Und den Fans Verständnis für den Versuch, die Geschichte gebührend zu beenden. Liebe schlägt in Hass um, die Serie wird gehässig zerrissen.

Es ist ein toxischer Cocktail, der vielen im Halse stecken bleibt und für einen bitteren Nachgeschmack sorgt. Die Zutaten; Ein hoch-komplexer Plot, die erwähnten Erwartungen, eine fehlende Originalvorlage. Dazu eine Prise unterschwelliger Frust, dass die geliebte Serie nach so langer Zeit ihren Ausklang finden muss, eine Ära zwangsläufig endet. Fertig ist der Stoff, aus dem Tragödien sind.

Denn es gibt von hier doch kaum einen Ausweg mehr für die Schreiber. Ein Königsweg ist nicht mehr zu machen, die weitläufige Kritik unumgänglich. Sensationelle Serien wie „Lost“ oder „How I met your mother“ ereilte auf der Zielgeraden dasselbe Schicksal.

Buh-Rufe sind immer lauter als Bravo. Selbst in der Unterzahl werden die negativen Stimmen immer mehr beachtet. Es hagelt also harsche Hasskommentare nach langen schönen Stunden. Zwei Monate und sechs finale Episoden reichen aus, um neun Jahre Glückseeligkeit vergessen zu machen. Die Serie erntet Petitionen für ein passenderes Ende anstelle eines friedvollen Finales.

Denn natürlich hätten Millionen Möchtegern-Macher diesen „Hillary Step“ wesentlich galanter gemeistert als die Dilettanten, denen sie über ganze neun Jahre bedingungslos gefolgt sind. Sicherlich sind die deftigen Debatten und penetrante Penibilität hier auch Ausdruck der Hingabe der Fans. Aber ich stelle mich mal wieder vor den schaffenden Künstler. Und plädiere für das undemokratische Werk.

Oder zumindest respektvolle Kritik. D.B. Weiss und David Benioff werden regelrecht gebrandmarkt. Und mit dem Stempel „bad writers“ versehen. Von Leuten, die sich kollektiv entschieden haben, keine Drehbuchautoren zu werden, die Arena nie zu betreten, das Haifischbecken nur durch die Glasscheibe zu beachten. So viele wollen angeben damit, wie sie etwas zu Ende gebracht hätten, was sie nie begonnen haben oder werden.

Sieben Staffeln auf höchstem Niveau reichen nicht aus für ein ehrvolles Erbe. Was zählt, ist das Ende. Und nur das. Hier wird doch einfach zu kurz gedacht. Hier muss ich mich quer stellen. Nicht nur weil das Finale in meinen Augen nicht halb so schrecklich ist, wie es gemacht wird. Sondern weil mal wieder belehrende Besserwisser einen Nachgeschmack erzwingen wollen, den eine großartige Serie in meinen Augen nicht verdient hat.

Das Problem ist wohlgemerkt nicht die Kritik per se. Es ist die Art und Weise, der fehlende Respekt. Was glaubt ihr: Wie viele haben das Finale boykottiert? Sprich sich konsequent von der ach-so-miserablen, letzten Staffel abgewendet? „Game of Thrones“ erreicht am finalen Tag die höchste Einschaltquote in der Geschichte der Serie.

Zugeben, dass man zu sehr involviert ist, um wegzulaufen und abzudrehen, tut aber niemand. Draufhauen danach ist viel leichter. Wie viele Neu-Autoren entziehen sich erfolgreich dem Bann, den es laut Eigenaussage ja gar nicht mehr gibt? Und warum schweigt der Rest, der überwältigende Rest, dem es wahrscheinlich gefallen hat? Die absolute Mehrheit bleibt wie so oft leider ohne Stimme.

So rückt die Randgruppe ins Rampenlicht. Und das Werk für mich ins falsche Licht. Man kann natürlich Aspekte bemängeln. Aber zu behaupten, man selber hätte es besser gekonnt ohne auch nur sich jeh an einer Kurzgeschichte versucht zu haben, grenzt an Größenwahn. Fundierte, sachliche Kritik ist Mangelware in diesen Tagen. Obwohl dies keinesfalls unmöglich ist. Wie das geht, zeigt Jeremy Engers eindrucksvoll in seinem lesenswerten Résumé.

Es bleibt abzuwarten, ob auch George R. R. Martin hier in einen Sturm läuft. Ich persönlich denke, er wird seine Geschichte in den Büchern stilvoll zu Ende bringen. So wie er sie begonnen hat. Alleine in seinem Zimmer. An einem mehr als 20 Jahre alten PC ohne Internetverbindung. Ohne Besserwisser. Und ganz undemokratisch. Laut Eigenaussage besteht für den „American Tolkien“ die einzige Schreibmotivation darin, das menschliche Herz im Kampf mit sich selbst zu beschreiben. Ich finde, es ist ihm gelungen. Jeder einzelne Nörgler liefert einen Beweis mehr dafür. Auch wenn der Ton nicht immer stimmt.

Es gibt ein Café hier um die Ecke, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut. In meinen Augen sind Service und Aufmachung großartig. Doch auch hier steigt die Erwartung natürlich mit der Besucherzahl. Die weiße Weste hält nicht lange. Und wer im Netz schaut, der findet sie: Die Ein-Stern-Bewertung, weil hier doch tatsächlich „Almond Breeze Milk“ anstatt „Almond Lab Milk“ angeboten wird. Was natürlich absolut abstoßend ist.

Diese eine Stimme ist laut, schwebt über den Anderen. Hinter ihr stehen zehn, denen es hier immer schmeckt und gefällt. Doch nur dieser Kunde schreit. Der Rest trinkt schweigend seinen Kaffee, genießt ihn, steht auf und geht. Wahrscheinlich wortlos.

Zum Schreien. Denn auch hier gibt es eine schweigende Mehrheit, die sich nicht hörbar macht. Ein getrübtes Gesamtbild dank einer meckernden Minderheit. Der Unterschied: Hier stört mich der Mangel an Demokratie. Das Antidot: Fünf Minuten und fünf Sterne auf TripAdvisor. Und eine Prise Respekt.

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