Finis Coronat Opus (?)

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Ich war immer ein Fan von „El Mago“. Er hatte einfach Stil. Er hatte diese klassische Eleganz. Er war eine kühle Erscheinung, selbst in der Hitze des Gefechts.

Guillermo Coria war ein geborener Sandplatzspezialist. Ein Techniker und Dauerläufer vor dem Herrn. In seinem Spiel war er ein Genie, auf Sand eine Bank. Ein feines, geschickt ausgeklügeltes Gegengewicht zum Hau-Drauf Tennis ala Roddick und Konsorten. Stellenweise eine Augenweide.

Sonntag, 6. Juni 2004: Paris, Centre Court Philippe Chatrier. Finale der prestigeträchtigen French Open. 15.000 gebannte Zuschauer sehen „El Mago“ in seinem Element. Und einen Mann, der einen My vom größten Traum seines Lebens entfernt ist: Matchball Coria. EIN Punkt der zum ultimativen Glück fehlt…

Ich erinnere mich noch immer, wie er die Fäuste ballte und zum Balljungen blickte in diesem Moment. Und der geniale Gaucho wird jene zwei quälend langen Matchbälle nie vergessen. Sie sind in sein Hirn eingraviert.

Denn am Ende dieses sengend heißen Nachmittags wird der Name seines Landsmannes Gastón Gaudio, der ungesetzt ins Turnier gestartet war, auf die Trophäe der vier Musketiere eingraviert. Ein von Krämpfen geplagter, völlig erschöpfter Guillermo Coria starrt ins Leere, fassungslos in seiner wohl dunkelsten Stunde. Der Zauberer hat sich selbst entzaubert, seine Matchbälle landen jeweils weniger als fünf (!) Zentimeter neben der Linie im Aus. „El Mago“ bleibt Zeit seines Lebens der ganz große Wurf verwehrt. Er bleibt ein König ohne Krone.

Für mich bleibt eine Frage: Ist ein Werk erst vollkommen mit dem krönenden Abschluss?

Michael Ballack, dem bis heute torgefährlichsten Mittelfeldspieler, der je in einer deutschen Auswahl gespielt hat, fehlen die ganz großen Titel. Kevin Großkreutz ist Weltmeister ohne auch nur eine einzige Minute des Turniers auf dem Feld gestanden zu haben.

Großen Karrieren bleiben für immer ungekrönt, Kleinen fällt ein Stern in den Schoß, der für alle Zeit leuchtet. In „Äpfel und Birnen“ habe ich diese Thematik bereits angeschnitten. Hollywood-Giganten bleiben ohne Oskar, grandiose Bands schaffen es nicht in die Hall of Fame. Ich will mich nicht wieder ausführlich darüber auslassen… doch je mehr ich grabe, desto mehr Namen finde ich. Und je mehr dieser Namen ich auf die Waage lege, desto misstrauischer werde ich gegenüber dem Gewicht dieser Preise, Plaketten und Prunkstücke. Was steckt am Ende dahinter?

Und was bedeutet so ein I-Tüpfelchen für den langen, geraden Strich darunter? Für die stetige, bedingungslose Hingabe und Liebe dieser Künstler für ihre Leidenschaft? Am Ende nur soviel, wie man daraus macht. Titel sind trügerisch. Lebet die Leidenschaft.

Ich folgte einem hellen Stern in Singapur. Dem allerhellsten am kulinarischen Firmament. In Chinatown in einer ganz unscheinbaren Straße liegt das Restaurant von Herrn Hawker Chan. Für fünf Singapore Dollars kann man hier das günstigste Michelin-Star Gericht der Welt probieren. Auch über diese Auszeichnung hab ich mich bereits ausgelassen, nicht das Thema:

Ich wollte dieses Star-Hähnchen nicht auslassen. Das Beste kam aber zum Schluss, beim Verlassen der Gasse: Hinter dem Lokal erspähe ich einen kleinen Mann. Er kniet in der Hocke und raucht eine Zigarette, wie nur Leute aus der Gastronomie es tun: Schnell, unter Strom, abgelenkt, selbst während der „Pause“.

Ich erkenne ihn. Von den Artikeln und Interviews, die ich zuvor über dieses mittlerweile weltberühmte Lokal gelesen habe. Der Mann heißt Hawker Chan. Der Sterne-Koch höchstpersönlich nimmt meine Lobpreisungen nur zögerlich und demütig auf. Er bleibt freundlich und gelassen, obwohl er kein Bock auf das Photo hat. Aber er macht es, Routine, gehört dazu. So empfinde ich es zumindest.

Auf dem Heimweg grübele ich über den Stern und seine Wirkung, die Krone und ihr Gewicht. Nach meinem Star-Intermezzo befällt mich eine Ahnung: Vielleicht will der Typ gar nicht mal Feedback von seinen Gästen. Wissen, ob es ihnen geschmeckt hat, was man verbessern könnte etc. Ich glaube, ihm ist dieser Stern scheißegal. Ich glaube, der Typ will einfach nur kochen. Basta.

Bob Dylan hat mal gesagt: „Ein Mann ist ein Erfolg, wenn er morgens aufsteht und abends ins Bett geht und dazwischen das tut, was er will.“ Bob Dylan wurde 2016 als erster Musiker mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Wisst ihr was er danach gemacht hat?

Genau: Er stand auf und ging ins Bett und machte zwischendrin was er will. Ließ zwei Wochen das Telefon klingeln, weil er – wie immer – auf Tour war. Kam nicht zur Zeremonie, ließ dem schicken schwedischen Komitee die Bankettrede schriftlich zukommen und nahm den Preis ein halbes Jahr später unter Ausschluss der Öffentlichkeit entgegen. Quasi im Vorbeigehen: Er hatte ein Konzert zu spielen im schönen Stockholm.

Die Moral von der Geschicht‘: Manche Titel taugen nicht. Und ein wirklich guter Weg braucht nicht immer das fulminante Finale oder erlösende Ende. Und das tröstet mich.

Denn Pokal hin oder her… „El Mago“ konnte mit Tennis seine Brötchen – und ein bisschen mehr – verdienen. Und so für manch einen Fan in Erinnerung bleiben.

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