Das Riskieren der wahren Wurzeln

Nachdem der letzte Artikel sich um verdrehte Wurzeln und den Missbrauch geistiger Schöpfungskraft bedeutender Schriftsteller handelte, soll das Augenhauptmerk in diesem Artikel auf unseren eigenen, „wahren Wurzeln“ liegen und darauf, wie wir diese heute mehr denn je unbedacht aufs Spiel setzen. Unsere Wurzeln sind der Hauptbestandteil unseres Seins. Die Art wie wir erzogen wurden, das Heimatgefühl durch welches wir uns zu einem oder mehreren bestimmten Orten hingezogen fühlen, bestimmte Erlebnisse und Ereignisse sowie Familie und Freunde, die uns allwährenden Halt und unersetzliche Liebe und Sicherheit schenken. Unsere Wurzeln lassen uns spüren, wo unser Herz zuhause ist, wenn wir uns gerade auf einer langen Reise befinden. Sie machen uns zu dem was wir sind und zeigen uns, wer wir sein wollen. Unsere Wurzeln sind unentbehrlich und dennoch gehen wir heute so leichtfertig mit Ihnen um und wissen ihren Wert oft kaum noch zu schätzen.
Wir alle – die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts – ist fest davon überzeugt in einer Zeit absoluter und grenzenloser Freiheit und Eigenständigkeit zu leben. Immer wieder vergessen wir dabei, wie leicht unser Denken und Handeln heute zu beeinflussen sind und wie leicht wir dieses vor allem anderen ermöglichen. Das Thema der Überwachung ist meiner Meinung nach eins der Themen, die am meisten unterschätzt werden. Besonders im Hinblick auf die Digitalisierung und den leichtfertigen Umgang mit unseren persönlichen Daten sowie auch im Hinblick auf die Zukunft, in der bargeldloses Bezahlen und eine immer zunehmendere Transparenz unabdingbar sind, ist der Begriff der Überwachung und Kontrolle doch stets allgegenwärtig. Serien wie „Black Mirror“ und Sci-Fi-Werke wie die „Panem“-Trilogie oder „Divergent-Die Bestimmung“, bei der die Gesellschaft durch den Staat auf verschiedene Art und Weise kontrolliert und überwacht wird, treffen momentan voll und ganz den Geschmack der Zeit. Und trotzdem scheint sich niemand wirklich Gedanken zu machen, wie realitätsnah manche dieser Dystopien doch eigentlich sind. Gerade wenn man bedenkt, wie leichtsinnig wir alle jeden Tag mit unseren „Wurzeln“ den Weg unserer digitalen Fußspur pflastern.
Zum Beispiel ist mittlerweile das Preisgeben von Daten schon klare Voraussetzung für die Nutzung sozialer Netzwerke. Wenn ich diesen nicht zahle, bleibt mir der Eintritt verweigert. Ein hoher Preis, den wir ohne zu überlegen dennoch bereitwillig zahlen und bei dem uns die Konsequenzen noch zu ungewiss oder oftmals auch einfach egal sind. Der gesellschaftliche Druck „dabei“ zu sein ist heute eben größer als das Gefühl von Privatheit. Im Gegenzug bieten uns die sozialen Medien das Gefühl der sozialen Anerkennung, ein Da Zugehörigkeitsgefühl und das Gefühl, nicht alleine zu sein (was umso absurder erscheint, wenn man bedenkt dass man die meiste Zeit – in der man sein Handy bedient – wahrscheinlich alleine auf der Couch verbringt). Natürlich ist es wahnsinnig schön seine Liebsten jederzeit erreichen zu können und so einfach im Kontakt bleiben zu können. Dennoch sollten wir uns genauer überlegen, was wir wem und was wir wann preisgeben. Denn auch wenn es uns als noch so unwichtig erscheint, irgendwo ein „Like“ zu hinterlassen, kann damit so Einiges von Wert angestellt werden. Vom genauen Zuschneiden auf persönliche Werbung und Kaufanregung bin zu der Beeinflussung von Wahlen. Was realitätsfern klingt, ist spätestens nach dem „Cambridge Analytica“ Skandal 2016 eine Tatsache und wer kann schon sagen ob Mister Donald Trump heute tatsächlich Präsident der Vereinigten Staaten wäre ohne diese verwerfliche Auswertung und das Missbrauchen persönlicher Daten. Auch wenn wir dieses leider nie herausfinden werden, sollte uns spätestens jetzt bewusst sein, wie betreffend die Bezeichnung unserer Daten als das „Gold von Morgen“ doch ist und zu welch gläsernen und transparenten Geschöpfen wir doch mehr und mehr werden.
Abgesehen davon ist es doch beinahe tragisch, wie wir uns heute teilweise kennen lernen. Statt persönlich im Club angesprochen zu werden, erhalte ich am Nächsten Tag eine Facebook-Nachricht, die mir sagt wie sehr Er mich doch gerne angesprochen hätte – Sehr überzeugend. Doch auch wenn wir jemanden in der „realen Welt“ kennen lernen so scheint es normal zu sein, die Person anschließend erstmal auf allen sozialen Kanälen ordentlich zu „durchleuchten“ und zu stalken was das Zeug hält. Wir sehen genau was Er/Sie so beruflich (und privat!) macht, mit welchen Leuten Der/Diejenige so abhängt und was in den letzten Jahren so bereist und erlebt wurde. Ganz ehrlich: Sind das nicht genau die Infos, die ich beim Ersten Date zum ersten Mal und nicht zum zweiten Mal hören will? Ist es nicht genau das, was die „Kennen-lernen-Phase“ so spannend macht: sich eben nicht zu kennen? Wie schade wäre es außerdem, wenn ich ein verfälschtes Bild einer Person über genau diese Medien bekomme und ihr deshalb dann erst gar nicht die Chance gebe, Sie/Ihn kennen zu lernen? Die Person selbst soll mir doch erzählen wer und was Er/Sie ist und gerne macht mit all den kleinen Details (Lieblingsfilm, Lieblingsmusik, Lieblingsessen) die dazugehören und all den erlebten Reisen, Erlebnissen und Lieblingsmomenten. Wer Ihre Familie, ihre Freunde und Ihr Zuhause sind. Wo Sie bereits alles war und welche Bekanntschaften Sie dort gemacht hat. Wo sie herkommt und wo sie hinwill.
Und was letztendlich ihre „wahren Wurzeln“ sind.

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