Nun, ich muss noch etwas mehr hinzufügen. Ich war letzte Woche tatsächlich noch nicht ganz fertig. Da gibt es noch so viel mehr zu erzählen. Denn Grenzen trennen ja auch. In Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Helden und Schurken; zumindest in Geschichten. Und unsere Geschichte vom letzten Mal war noch nicht zu Ende. „Masquerade“ ist ein reichlich bunt bebildertes Buch, aber auch hier finden sich zwei Seiten, Schwarz und Weiß, die Guten und die Bösen.
Als „Masquerade“ 1979 erschien, war es eine kleine Sensation und löste landesweit in England (und über die Grenzen hinaus) ein wahres Goldsucher-Fieber aus.
Diese Schatz-Hatz nahm schnell Ausmaße an, die der Autor, Kit Williams, selbst nicht hatte kommen sehen: jede Woche erreichten Mr. Williams ganze Schubkarrenladungen an Briefen, in welchen die selbsternannten Jäger des verlorenen Schatzes ihm ihre Lösungsversuche präsentierten. Sogar der ein oder andere private Vorgarten wurde im Verlauf der nächsten zwei Jahre umgegraben, weil ein Jäger auf Abwegen felsenfest überzeugt war, dass er sich dort versteckte, der Schatz vom goldenen Hasen, direkt unter dem gepflegten englischen Rasen.
Und dann, im März 1982, betritt unser Schurke die Bühne: „Ken Thomas“. Dieser lieferte als erster dem Autor eine Zeichnung, die die Lage des Schatzes annähernd korrekt beschrieb. Doch musste Mr. Williams selbst schnell feststellen, dass es wohl ein glücklicher Schuss ins Blaue war, denn obwohl Mr. Thomas die richtige Position angegeben hatte, konnte er den eigentlichen Lösungsweg des Rätsels nicht vorweisen. Nichtsdestotrotz fand er, nach erneuter Bestätigung seines vermuteten Schatzverstecks durch Kit Williams, den goldenen Hasen in einem Erdhaufen auf einem Hügel in der englischen Landschaft.
Womit wir bei den – in diesem Falle durchaus tragischen – Helden unserer Geschichte wären: Mike Barker und John Rosseau, zwei Physik-Lehrer. Von ihnen stammte die erste richtige Lösung des gesamten Rätsels, die als Brief bei Mr. Williams einging. Und von ihnen stammte außerdem der Erdhaufen, in dem der Schatz gefunden worden war: denn auch wenn ihre Lösung erst nach dem Vorschlag von Ken Thomas eingegangen war, so hatten sie zuvor schon an der richtigen Stelle nach dem goldenen Hasen gegraben, hatten diesen sogar AUSgegraben, aber es scheinbar einfach nicht bemerkt…
Tragisch. Erst recht wenn man den weiteren Verlauf der Geschichte hört.
Ken Thomas war nämlich nicht „Ken Thomas“. Sondern Dugald Thompson. Dessen Geschäftspartner war ein gewisser John Guard, dessen Freundin eine gewisse Veronica Robertson war. Und deren Ex-Freund war ein gewisser Mr. Williams. Kit Williams. DER Kit Williams.
Die Herren Thompson und Guard hatten also lediglich auf Hinweise von Ms. Robertson eine Zeichnung angefertigt, die in etwa die Lage des Schatzes beschrieb und Kit Williams vorgegaukelt, die Hinweise aus „Masquerade“ gelöst zu haben. Das war alles andere als fairer englischer Sportsgeist.
Und falls das noch nicht reichen sollte, sie als Schurken in diesem Märchen abzustempeln, legten die zwei Unholde noch einen drauf:
Nachdem dem sie den Schatz nun in den Händen hielten, ersannen sie einen neuen Plan, genauer eine eigene Firma, „Haresoft“, die das Video-Spiel „Hareraiser“ 1984 auf den Markt brachte. Angeblich seien in dem Spiel Hinweise und Rätsel versteckt, mit deren Lösung der Spieler den goldenen Hasen erlangen kann. Besser gesagt, der erste Spieler mit der korrekten Lösung sollte als Gewinn den echten goldenen Hasen erhalten.
Leider nur war das Spiel etwas teuer für damalige Verhältnisse.
Leider musste man um die korrekte Lösung zu finden noch zusätzlich die zwei weiteren Spielteile „Prelude“ und „Finale“ käuflich erwerben.
Und leider gibt es bis heute niemanden, der auch nur ansatzweise einen vernünftigen Lösungsvorschlag eingereicht hat. Selbst darüber, worin das Rätsel eigentlich besteht und wie es im Spiel zu verstehen ist, herrscht nach über 30 Jahren Unstimmigkeit.
Was den Verdacht nahe legt, dass es gar kein Rätsel gibt. Sondern lediglich einen fiesen Plan, um mit Hilfe eines populären Phänomens möglichst vielen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und so eine ursprünglich großartige Idee mit einem goldenen Hasen zu einer billigen Masche mit einer „Cash-Cow“ zu degradieren. Schufte.
Aber so geht es oft. Bei dramatischen Geschichten. Und das sind Schatzsuchen ja immer. Da gibt es immer die Bösen und die Guten. Die einen wollen die Faszination, die Neugierde, den Sportsgeist der Schatzsucher belohnen. Und die anderen wollen sie ausnutzen.
Forrest Fenn zum Beispiel: der wohlhabende Kunsthändler versteckte laut eigenen Angaben 2010 eine Kiste mit Edelsteinen, Kunstobjekten und Münzen (geschätzter Wert 1-3 Mio. US-Dollar) irgendwo in den Rocky Mountains; die Hinweise zum genauen Fundort sind in einem von ihm verfassten Gedicht zu finden.
Falls das stimmt ist Herr Fenn einer von den Guten.
Anders ist es beim Geheimnis der sog. „Beale-Chiffre“: nach neuesten Erkenntnissen hat sich wohl hier nur ein Verleger mit einer (zugegeben recht originellen) Idee eine etwas höhere Auflage verschaffen wollen. Das wäre dann einer von den weniger Guten.
Kit Williams dagegen wollte sicher auch etwas Geld verdienen, aber seine Schatzsuche und die Faszination um „Masquerade“ waren von Anfang an ehrlich und echt.
Daher: einer von den Guten. Genau wie Byron Preiss und John Jude Palencar, die mit „The Secret“ ein ähnliches Schatzjäger-Buch nachahmten und von deren 12 Schätzen erst 2 gefunden wurden. Die Jagd geht also weiter.
Und dann zurück zu „Hareraiser“, Ken Thomas, Dugald Thompson, John Guard. Vielleicht tue ich den Herren unrecht. Vielleicht gibt es ja bei „Hareraiser“ tatsächlich ein Rätsel und was zu gewinnen. Vielleicht gehören sie doch zu den Guten. Vielleicht enthalten die „Beale-Chiffren“ tatsächlich die Hinweise zu einem großen Schatz. Und vielleicht hat Mr. Forrest Fenn sich nur einen Spaß erlaubt. Die Welt ist eben selten einfach nur Schwarz und Weiß. Aber manchmal immerhin gerecht. „Hareraiser“ scheint nämlich (Rätsel hin oder her) ein absolut beschissenes Spiel zu sein. Und verkauft hat es sich daher nicht wirklich erfolgreich. Denn auch wenn schließlich immer nur einer den Schatz (sollte es ihn denn geben) finden kann, ist es doch schön wenn alle Spaß dabei haben. Und dazu braucht es eben nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch ein bisschen Farbe. So wie bei „Masquerade“. Damit wenigstens eine gute Geschichte dabei rauskommt. Oder eben ein Blog-Artikel. In Schwarz auf Weiß.