6 Sekunden Gegenwart

Da ist was dran. An der Sache mit dem Geruchssinn. Vor allem das mit dem Speichern von Eindrücken. Tatsächlich scheinen die meisten meiner lebhaften Erinnerungen eher mit Bildern und Geräuschen/Musik in meinem Kopf verknüpft zu sein. Ich kann mir zwar in diesem Moment in etwa imaginär ausmalen, wie eine Erdbeere schmeckt, aber irgendwie sind diese Eindrücke nicht so präsent wie ihre visuellen oder auditiven Partner. Gerüche werden mir in der Tat nur bewusst, wenn ich sie direkt wahrnehme. Die Erinnerungen und Gefühle die mich zurückbringen in diesen Sommerurlaub, das Ferienhaus, die Schulturnhalle oder Omas fantastischem Streuselkuchen kommen nur, wenn sie mir im Hier & Jetzt wiederbegegnen. In der Regel denke ich auch nicht oft an billigen Aldi-Vodka gemischt mit Blutorgangensaftkonzentrat; sollte ich aber einer dieser Zutaten in meinem aktuellen gegenwärtigen Umfeld wiederbegegnen oder Gott bewahre gar der Mischung dieser zwei zusammen, dann bin ich mit einem Schlag wieder 16, auf Knien, mit dem Kopf über der Kloschüssel, fühle mich hundeelend und erinnere mich an meinen Vorsatz nie wieder Alkohol zu trinken. Das wäre eine Sinnes-Erinnerung bei der es nicht geschadet hätte wenn sie mir öfter ins Gedächtnis gerufen worden wäre.

Sicher gibt es Menschen, bei denen das anders ist. Nicht nur, dass sie noch heute ohne Hemmungen Vodka-Blutorange-Mixdrinks zu sich nehmen können (obwohl das selbst neutral gesehen keine sehr populäre Mischung sein dürfte), sondern auch, dass sie Erinnerungen anders speichern, anders verknüpfen, mit größerer Bedeutung für andere Sinne als Sehen und Hören.
Was aber bei uns allen in etwa ähnlich ist, ist die Zeitspanne, in der wir diese Eindrücke erfahren, anlegen, zurückrufen, erleben. Da bleibt uns allen nur die Gegenwart in der wir leben. Und die umfasst für uns nach allgemeinen Umfragen in etwa eine Zeitspanne von 3 Sekunden. Alles, was der letzte Absatz und Vodka-Blutorange an Emotionen und Eindrücken also ausgelöst hat, befindet sich jetzt schon wieder in der Vergangenheit.
3 Sekunden. 3 Sekunden Gegenwart. 3 Sekunden Hier & Jetzt. 3 Sekunden in denen wir alle einen Schritt weiter machen, 3 Sekunden in denen sich immer aufs Neue entscheidet, was unser Leben ist, was es war und was es sein wird.
3 Sekunden in denen wir immer wieder entscheiden, definieren, bestätigen wer wir sind. Und selbst diese 3 Sekunden sind wohl immer noch ein menschliches Konstrukt. Vielleicht ist das Jetzt & Hier sogar noch kürzer.
Keine Zeit zu verlieren also. Lebe nicht im Autopilot! Lebe den Moment! Carpe Diem! Genieße den Augenblick! Habe den Mut du selbst zu sein!
Da das hier allerdings kein blumiger Teenager-Girlie-Blog ist, wollte ich so einen Artikel mit Kalender- und Tapetensprüchen eigentlich nicht schreiben. Daher kann ich es jetzt & hier auch nicht dabei belassen. Denn es geht um mehr. Es geht nicht nur darum, wie du deine 3 Sekunden verbringst, sondern auch mit Wem. Es geht um 3 Sekunden mal 2.
Versteht mich nicht falsch, ich bin durchaus gern mal alleine. Ich hatte und habe viele schöne Momente und Erinnerungen, in denen es nur mich gibt. Und doch sind die meisten meiner besten Momente, meiner schönsten Erinnerungen, meine All-Time-Favorites aus der Bibliothek meines Lebens, geprägt von dem Zusammensein mit anderen Menschen. Viele Dinge, die ich gerne alleine tue, werden besser wenn ich sie mit anderen gemeinsam erleben darf.
Gitarre spiele ich eigentlich jeden Tag, aber es wird noch besser in den Momenten wenn jemand zuhört. Oder ich mit jemandem zusammen spielen kann.
Dasselbe gilt für so viele weitere Dinge: Filme ansehen, Spiele spielen, Urlaub, Reisen, Kochen, Essen, Bier trinken sowieso und schlafen ganz klar auch. Meine 3 Sekunden werden besser wenn ich sie teilen kann. Mit anderen Menschen. Besonderen Menschen.
Ich kann mich sehr glücklich schätzen, dass ich Einigen von diesen in meinem Leben begegnet bin. Und ich denke, es ist auch eine Lebensaufgabe, diese Menschen zu finden. Denn es gibt sie da draußen. Die coolen Typen, aufregenden Charaktere, interessanten Figuren, die Bros, die BFFs, die Märchenprinzessinnen und Märchenprinzen. Die Menschen, die dir Freude bringen. Und die Menschen, die dich weiter bringen. Die Mentoren und Lehrmeister. Die Mr. Miyagis und Yodas, die dir helfen, besser zu werden für die Zukunft. Die Rafikis, die dir helfen, in deiner Vergangenheit dich selbst zu finden. Und die Balus, die dir helfen das Hier und Jetzt zu erleben, die Ameisen zu sehen, die Bienen zu hören, den Honigduft zu riechen, die Früchte zu schmecken und die Schubberbäume zu finden.
Aber man muss diese Menschen eben auch ein bisschen suchen. Da draußen. Ihnen begegnen. Sie ansprechen. Sich ihnen öffnen. Seine 3 Sekunden mit ihnen teilen.
Und werden dann daraus 6 Sekunden Gegenwart? Nein. Aber vielleicht einer dieser Momente in denen die Zeit stillsteht. Oder vielleicht ein ganzes Leben aus wunderbaren gemeinsamen Erinnerungen. Oder einfach nur die besten 3 Sekunden deines Lebens.

Nun ja. Verbringe deine Zeit mit besonderen Menschen. Teile deine Zeit mit ihnen. Ist jetzt irgendwie doch ein Kalenderspruch-Artikel geworden. Aber immerhin lernt man bei uns auch außerdem noch was fürs wirkliche Leben. Und zwar das Vodka-Blutorange Teufelszeug ist. DAS sagen sie einem auf den Teenage-Girlie-Blogs nämlich nicht. Also nehmt euch 3 Sekunden Zeit um daraus eine Erinnerung zu machen. Und dann sagt es euren Freunden, euren besonderen Menschen. Spread the Word. Ruft sie mal wieder an, trefft euch mit ihnen, verbringt gemeinsame Zeit miteinander. Ihr habt 3 Sekunden. 3…2…1…

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