A Wave, an Awesome Wave

„Der Biss der Geschichte“ und „Im Duell mit meinen Möglichkeiten“ ist tatsächlich genau das, was auch mich derzeit eigentlich viel zu sehr beschäftigt. Ob es nun an den Genen liegt oder möglicherweise tatsächlich jeder dieses Duell tagtäglich austrägt – ich kenne es nur allzu gut. Und ja ich weiß: Auch zu diesem Thema gibt es bereits Artikel und Berichte wie Sand am Meer. Aber das hat nun mal auch seinen Grund, da vermutlich jedem das Problem der Qual der Wahl nicht nur bei Film- oder Musikauswahl zu vertraut ist. Doch fangen wir ruhig mit dem banalen Beispiel der Musikauswahl an.

Als ich gestern nach meinem perfekten Soundtrack für den perfekten Sonnenuntergang suchte und mich endlich nach 30 quälenden Minuten für die Band „alt-J“ entschieden hatte (was sowieso von Anfang an meine erste Wahl war) stellte ich beim Aufblicken vom Smartphone erschrocken fest, dass die Sonne – und der Grund warum ich eingedeckt mit einem guten Buch und Snacks an meinem Lieblingsspot saß – bereits verschwunden war. Viel schlimmer noch. Mit ihr auch die Chance, aus diesem Sonnenuntergang etwas ganz besonderes zu machen.

Doch wie soll es uns auch anders gehen? Jeden Tag werden wir vor einen Berg an Entscheidungen gestellt und müssen unserer Intuition folgend den richtigen Aufstieg wählen. Entscheidungen, die unbedeutend sein können, so wie die Auswahl eines Kaffees oder Essens, das Zu- oder Absagen zu einer (möglicherweise lebensverändernden) Party oder eben auch etwas so banales und alltägliches wie die Film- oder Musikauswahl. Und dann ist da dieses Überangebot an Möglichkeiten. Wie kann es einem da möglich sein, in einer wirklich großen und wichtigen Entscheidung, wie z.b. der Berufswahl, die richtige Option zu wählen. Wie kann ich bei einem solchen Überangebot das Beste daraus machen – aus mir, aus meinen Möglichkeiten, aus meinem Leben?

„Follow your Heart“, „You never know, if you never try“ und „travel as much as you can“ sind die Standard – Ratschläge, die einem eine Vielzahl von anderen Blog-Artikeln, Instagram & Co. so vermitteln. Ganz was neues. Aber klar: Reisen ist definitiv das Beste um wirklich mal wieder richtig in sich hineinhören zu können. Aber auch auf meiner Reise durch Bali letzten Monat gelang es mir trotz allem nicht „das Duell mit meinen Möglichkeiten“ mal eben zu pausieren. Den Degen mal eben auf die Seite zu legen, das Duell zu unterbrechen und einfach freundschaftlich ein Bierchen mit „meinen Möglichkeiten“ zu trinken. Gedanklich versteht sich. Darauf anstoßen in welch fantastischer Welt man doch gerade gelandet ist, denn Bali und seine verträumten Inseln sind das absolut wahrhaftige Paradies! Übersäht von all diesen wunderschönen, verborgenen und mystischen Orten, die einem einfach nur den Atem rauben und einen – eigentlich – vergessen lassen was auch immer einen gerade beschäftigt. Tiefster Dschungel, die prächtigsten Gärten, verborgene Tempelanlagen aus längst vergangener Zeit, die seltenen „schwarzen“ Strände und einschüchternde tosende Wasserfälle, so wie auch der „Tegenungan – waterfall“ in der Region Gianyar.

Ein wunderschönes und so beeindruckendes Naturschauspiel, das einem wirklich den Atem raubt. Das einem wieder bewusst werden lässt, wie klein und schmächtig man doch tatsächlich ist, vor allem gegen diese unglaubliche Naturkraft. Wasser, dass für Leben, Erfrischung und Energie steht. Überlebenswichtig für jeden von uns und etwas was uns immer wieder neue Kraft gibt. Aber in dieser geballten Form ist es eben auch etwas anderes: angsteinflößend, eine Bedrohung und sogar Lebensgefahr. Mit einem Wasserfall verhält es sich genauso wie mit diesem Überangebot an Optionsmöglichkeiten.

Es ist etwas tolles und Freiheit pur das Glück haben, frei entscheiden zu dürfen und uns aus so vielen Möglichkeiten immer wieder die „Richtige“ aussuchen zu dürfen. Aber in einer so geballten Form kann es eben auch zu einer Bedrohung werden. Eine Bedrohung, weil man nicht mehr gegen die Strömung ankämpfen kann sobald man sich entschieden hat und die Entscheidung uns möglicherweise in die falsche Richtung treibt. Eine Bedrohung, die uns den Boden unter den Füßen wegreißt und uns in einen Strudel zieht und die uns ertrinken lässt, wenn wir nicht schwimmen können. Und „schwimmen“ heißt in diesem Fall entscheiden können.

Ja, vor diesem Naturschauspiel zu stehen ist Bewunderung und – bei zu nahem Anblick – Bedrohung zugleich. Sehe ich mich jedoch genauer um, sehe ich eigentlich nur eins: glückliche und entspannte Menschen, die den Wasserfall Wasserfall sein lassen, und nicht eine sich überschwemmende Welle an Möglichkeiten sehen. Für die Balinesen ist das hier eben „nur“ ein Wasserfall. Ein wunderschönes Naturschauspiel, das man nur genießen sollte, in der rechten Hand ein Bierchen, in der Linken eine Kippe, deren mir Rauch mir Bob Marleys „Don´t worry, be happy“ im Reggeabeat zusummt.

Wahrscheinlich gibt es einfach diese zwei Sorten Menschen. Die Einen, denen Entscheidungen eben von kleinauf leichter fallen und die dadurch in einer Sache nicht zu viel Druck aufbauen und die Anderen, die schon immer jede Tür gedanklich hundert mal öffnen mussten, jeden Weg tausend Mal auf- und ablaufen und dadurch am Ende so viel Druck aufbauen, dass sie sich irgendwann einfach nicht mehr entscheiden können.

Ich gehöre definitiv zur Letzteren Sorte. Ob das nun von Vorteil oder Nachteil ist, sei mal dahingestellt. Aber auch mir war in diesem Moment genau eins klar: auch ich sollte mich genau jetzt, genau hier mal dazu entscheiden, mich hinzusetzen, eine Zigarette und ein Bintang zu gönnen und genau diesen Anblick mit genau diesem einen Song meine Sinne überfluten lassen.

„ A wave, an awesome wave,

that rushes skin and widens in blooded veins,

breathe in, exhale.“ → Alt J – Bloodflood

Den letztenendes ist es eben doch „nur“ ein Wasserfall.

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