Die letzten Tage komme ich viel ins Grübeln über eine meiner größten Vorlieben. Ja, es geht um Sport. Und Ja, es geht nicht nur um die Sache sondern auch um das Drum Herum. Vor allem aber geht es um die Frage: Wie um Gottes Willen kann so was passieren?
Zum Anstoß hier die zwei Einzelfälle, die meine mentale Diskussion angestoßen haben:
Samstag, 26. Mai 2018, Olympiastadion Kiew. Es läuft die 51. Minute im UEFA Champions-League Finale zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool. Das Spiel befindet sich auf Messers Schneide als der Torhüter der Reds Loris Karius den Ball völlig unbedrängt in die Füße von Real Stürmer Karim Benzema wirft, der so das 1:0 erzielt. Es ist ein Fehler, den ich so nicht mal in der untersten aller Spielklassen jemals gesehen habe.
Donnerstag, 31. Mai 2018, Oracle Arena, Oakland. 4,7 Sekunden verbleiben im Game One der NBA Finals zwischen den Golden State Warriors und den Cleveland Cavaliers. Das Spiel ist ausgeglichen mit 107 – 107. Clevelands George Hill setzt seinen zweiten Freiwurf an den Ring und sein Mitspieler J.R. Smith sichert sich mit einem spektakulären Rebound den Ball direkt unter dem Korb. Doch anstatt jenen anzustreben, dribbelt er fluchtartig vom Korb weg und lässt die letzten Sekunden verstreichen. Zum Entsetzen von Mitspielern, Fans und sonstigen Beteiligten stellt sich heraus, dass er den Spielstand nicht kennt, beziehungsweise glaubt, sein Team sei in Führung.
So. Und jetzt bitte nicht alle auf einmal und schön der Reihe nach: Logischerweise bringen solche Vorfälle mich zu der oben genannten Frage. Ich muss mich fragen: Wie kann das sein? Wie können solch fatale Fauxpas solch formidablen Athleten passieren? Wie kann auf aller höchstem Niveau der aller erste Schritt daneben gehen? Die Jungs stehen doch gerade deshalb da, weil sie die Fehler nie machen würden! Weil ein Coach sich dank jahrelanger Empirie und Auslese sicher sein kann, dass gerade dem Jungen das nicht passiert! Wie lässt sich sowas erklären oder verstehen?
Vorneweg: Ich kann beides nicht. Diese Fehler bewegen sich in einer Größenordnung, die sich ohne Worte in den Bildern am besten offenbart. Karius macht im selben Spiel noch einen zweiten schweren Patzer, J.R. Smith hätte sogar ein Timeout nehmen können. Ja wir sind alle nur Menschen, aber das sind Profis. Mit Wochengehältern, die Jahreseinkommen übertreffen. J.R. Smith macht knapp 14 Millionen Dollar durch das Spiel mit dem Spalding!
Meine Devise für Kritik ruht in dem Grundsatz, sie möglichst nur dort anzusetzen, wo man selbst einen längeren Hebel hat. Es ist leicht, sich einfach in der Zuschauerrolle zu verkriechen, den Fahrstuhl auf das Weltklasse-Niveau zu nehmen und dann Finger und Stimme zu erheben und Popcorn zu schmeißen.
Aber auch wenn ich sonst stets die Athleten gemäß dem „Man in the Arena“-Prinzip ehern verteidige, kann ich sie nicht bedingungslos in Schutz nehmen. Das sind Fehler, die jeder Amateur zu vermeiden lernt. Wenn man sie in solchen Fällen nicht kritisieren kann, dann muss man das Wort Kritik komplett aus seinem Vokabular streichen, dann darf man Sportler für nichts kritisieren.
Ich verstehe den Liverpool-Fan, der eine horrende Summe berappt und dann mit ansehen muss, wie sein Team das erste Finale seit zehn Jahren so lächerlich verliert. Ich fühle mit dem Cavs-Fan, der quer durch das Land fliegt, um so bitter enttäuscht zu werden. Die Kritik ist daher absolut verständlich, auch wenn viele den Unterschied zwischen kritisieren und diffamieren wohl nie lernen. Natürlich gibt es Primaten, die es einfach zu weit treiben. Briten, die die feine englische Art über Bord schmeißen und bis hin zu Morddrohungen verrohen. So verständlich der Ärger, auch hier gibt es eine klare Grenze!
Außerdem leiden die Protagonisten selbst wahrscheinlich am meisten darunter. Aber denken sie auch daran, wenn sie zur Bank gehen? Wie gesagt, es handelt sich hier um hochbezahlte Profis. Mit Blick darauf hält sich dann auch mein Mitleid in Grenzen. Wer sein Leben diesem einen Spiel hin gibt, das Spiel lebt und für die Emotionen darin lebt… Tja, der muss eben genau damit leben. Denn ihm darf so ein Fehler nicht passieren. Auch die Götter haben Makel, aber deshalb beten wir nicht zu ihnen… Was will ich also hier predigen? Vier Sachen:
1.) Ich kann weder verstehen noch erklären wie solche Sachen passieren können.
2.) Ja, jeder Fan hat das Recht in so Fällen laut zu werden und sich aufzuregen.
3.) Briten können auch anders.
4.) Wer für einen kolossalen Klops fürstlich vergütet wird, braucht nicht allzu viel Trost.
Das Witzige hierbei ist: Das Spiel im Gesamtbild bleibt völlig unberührt. Die Faszination sinkt nicht einen My. Im Gegenteil: Gerade so Momente offenbaren das irre Spektrum des Sports und liefern eine völlig eigene Palette an Emotionen. Der Mensch generiert ja bekanntlich sein Glück auch aus dem Leid der Anderen. Diese weite Palette auf engem Raum macht den Reiz aus:
Gareth Bale erzielt zehn Minuten nach Karius‘ katastrophalem Kollaps mit einem absoluten Weltklasse-Fallrückzieher das entscheidende 2:1. Smith’s Mitspieler LeBron James liefert mit historischen 51 Punkten eine Gala-Vorstellung ab, die noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Minuten nach der Basketball-Übertragung sah ich einen Reporter auf einem anderen Kanal. Es ging natürlich um Trump und den üblichen Wirbel. Als Fazit sagte er: „Er ist einfach unberechenbar. Deswegen sind alle interessiert. Die Leute, die ihn hassen, haben keine Ahnung, was als Nächstes passiert. Die Leute, die ihn lieben, genauso wenig. Deswegen schaut alle Welt auf ihn.“
Dito.