Gold von gestern

Früher war alles besser. Und billiger. Und noch von Qualität. Die Welt größer, die Wiesen grüner, die Parties wilder und das Leben schöner. Kommt euch das bekannt vor?

Mir schon und ich denke auch ihr hört es oft genug. Da es letzte Woche viel um die Prägung im Kindheitsalter ging, dachte ich mir, ich knüpfe mal nahtlos an mit der Frage: Woran erinnern wir uns eigentlich bevorzugt? Und was macht diese Erinnerung mit uns? Und wie bleibt man in Erinnerung? Eine interessante Frage, denn das kann ja logischerweise für die aktuelle Epoche nie mit Bestimmtheit gesagt werden.

Ich glaube zum Beispiel, Obama wird in 15 bis 20 Jahren in einem glorreichen Licht erscheinen. Als Sandwich zwischen Trump und Bush muss er historisch Flügel bekommen. Nur gerade sieht man es eben noch nicht. Er muss ins „Früher“ rücken, um zur Legende zu werden. (Und Donald noch ein bisschen wüten, um den Kontrast zu schärfen…)

Ähnlich wie Willy Brandt: Der wurde seiner Zeit scharf kritisiert für die Ostannäherung. Und hat rückblickend alles richtig gemacht. Und jetzt seine Statue im SPD Zentrum. Dort erinnert man sich aktuell sicher auch ab und zu daran, wie früher doch alles besser war.

Zum Beispiel die Musik: Die großen Bands der 70er und 80er, die Legenden, die Musikgeschichte und Hymnen für die Ewigkeit geschrieben haben. Wer kann schon heute sagen, was in 40 Jahren „Klassik“ sein wird? An wen wird man sich wirklich erinnern? Oder ist die Musikszene mittlerweile einfach zu divers und mannigfaltig, um rückblickend einzelne Sterne zu erlauben?

Denn alle wollen doch, dass man sich an sie erinnert. Vor allem im Pop missfällt mir aber hier schon immer die Art und Weise, mit der genau das hemmungslos versucht wird. Gegen eindringliche, kurzweilige Melodien habe ich nichts. Hinterlistig finde ich aber, wie die Texte instrumentalisiert werden, um krampfhaft Ohrwürmer zu konzipieren. Die Sprache wird bewusst entstellt, nur um aufzufallen und das kotzt mich an. Zwei Fallbeispiele:

1.) „Rah rah ah-ah-ah! Ro mah ro-mah-mah! Gaga oh-la-la!“
2.) „Rroo ka do ka do ko koo ka do ka do ka do ka doong!“

Aha. Soviel zum Thema gehaltvolle Lyrik. Achtet mal drauf und ihr findet in so gut wie jedem Hit den einen Haken, der für unsere Synapsen bestimmt ist. Gefällt mir nicht, ist mir zu aufdringlich und plump. Sowas braucht Metallica nicht, die haben Riffs. Folksänger auch nicht, die haben Geschichten. Man kann nämlich auch so in Erinnerung bleiben. Und die Art bevorzuge ich. Alles Geschmackssache klar, aber schaut einfach mal, wie die Na Na Na’s und Oh Oh Oh’s gesetzt sind in den Songs.

Ohne jetzt eine Verschwörungstheorie los zu treten, aber vielleicht kommt grade deshalb Pop grade bei jungen Leuten aus Tradition gut an. Denn in der Kindheitserinnerung steckt eben eine besondere Power, wie wir festgestellt haben.

Fragt mal eure Freunde nach dem besten Bond. So gut wie jeder wird Pierce Brosnan sagen, wenn ihr ungefähr so alt seid wie ich. Oder Sean Connery, wenn ihr aus der Generation meiner Eltern stammt. So oder so: Ich garantiere euch, es ist fast immer der Bond der Kindheitsjahre. Der mit dem wir groß geworden sind. Weil es früher meist einfach anders und besser war, 007 bei der Arbeit zuzuschauen. Die Faszination ist größer, die Eindrücke intensiver, das Erlebnis prägender.

Wir versuchen doch auch verständlicherweise, im Verlauf unseres Lebens die besten Attribute immer mit uns zu nehmen und in uns zu tragen. Und so wollen wir natürlich auch aus unseren Anfängen nur das Gute mitnehmen. Hierbei projizieren wir aber oft einseitig und unverhältnismäßig, verzerren das Gesamtbild oder messen einfach mit zweierlei Maß.

Wir legen einfach die „Damals-Schablone“ auf, schöpfen die Sahne ab und schwelgen in Nostalgie. Sehen lieber, dass es keine Scheidungen gab anstatt mangelnde Emanzipation anzuprangern. Wie ach so günstig der Sprit war, anstatt wie hemmungslos die Umwelt verschmutzt wurde. Einfach auch, weil es Spaß macht, sich zu beschweren. Indem wir ableiten, wie viel knuspriger die Brötchen damals waren, bringen wir uns doch schleichend eine „Ich-habe-Recht“-Position. Und etwas, das du nicht hast: Wir suggerieren unterschwellig, dass seitdem mit dem Lauf der Dinge aber ganz gehörig was falsch gelaufen ist und wir genau das aufgedeckt haben, es besser wissen. Und, dass ihr heute verpasst habt, was wir damals erlebt haben.

Das ist doch auch gleich viel nahrhafter für das Ego, als sich einzugestehen, dass früher Telefonieren mit soviel mehr Zeit-, Geld- und Nervenaufwand verbunden war. Und heute erfolgreich auf einen Klick reduziert wurde. Dass euch heute in den Schoß gelegt wird, wofür wir früher uns abrackern mussten.

Vielleicht liegt hier auch eine versteckte Suche nach individueller Genugtuung und Bestätigung. Seit Anbeginn der Zeit beansprucht doch so gut wie jede Generation stets die besten Zeiten und Ideale für sich. Behauptet, dass wir mehr erlebt haben, unsere Zeit besser genutzt haben. Vielleicht kommt das auch einfach daher, weil wir selbst jünger und damit vielleicht auch ein Stück glücklicher waren. Und uns genau danach immer ein wenig sehnen werden. Denn am Ende wollen wir doch alle alt werden, aber nicht alt sein.

Können wir aber vermehrt. Denn die Lebenserwartung liegt heute global bei 72 Jahren im Gegensatz zu 31 Jahren um 1900. Und die Zahl der Opfer durch Hungersnöte weltweit ist seit 1870 um fast 99% gesunken. Alles war also sicher nicht besser früher. Sicher bleibt nur eins: Morgen wird heute gestern sein. Und unser „Gestern…“ gefällt uns immer noch am besten.

 

„Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber diese ist die unsere.“
– Jean Paul Sartre (1905 – 1980)

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