Ich hatte nie einen Opa.
Ihr wisst schon, so einen alten, kernigen Typen, der mir über einer Pfeife zu verstehen gibt, warum ich nix gewohnt bin und wahrscheinlich sogar Recht damit hat. Oder mir erklärt warum früher alles besser war. So ein Sprüche- und Schulterklopfer. Und ein Mentor von dem ich noch so Einiges lernen kann. Denn so ist doch der Lauf der Dinge: Der Sohn lernt das Handwerk vom Vater, die Tochter von der Mutter. Kurz: Die Älteren erziehen und belehren die Jüngeren.
Die Digitalisierung und das Internet bringen hier eine wahre Zeitenwende: Heutzutage erklären immer mehr die Jüngeren den Älteren, wie der Hase läuft. Denn die Technologie wird mehr und mehr zur Allzweckwaffe. Und sägt am Schaukelstuhl der Alten. Denn wer mit Professor Google und der University of Youtube aufwächst und sie zu nutzen weiß, ist auf Opas Ratschläge so gut wie gar nicht mehr angewiesen.
Ich frage mich nur: Geht damit gerade die Empathie zwischen den Generationen verloren? Sogar ich könnte mich schon mit meinen bescheidenden 28 Lenzen aufgrund meiner Erfahrungen beschweren, dass die Jugend immer frecher wird. Und die Gesellschaft gerade in den jungen Trieben etwas verroht. Geht euch das genauso?
Sorgt ausgerechnet das beste und umfassendste Netz dafür, dass wir uns weniger miteinander verbunden fühlen? Jeder, den ich nach dem Weg frage, hält mich für einen Idioten, weil ich GoogleMaps nicht vorher gefragt habe. Es scheint mir, dass die vermeintliche Objektivität und Omniszienz des Webs Hand in Hand geht mit einer Prise Ignoranz und einem Schuss Insolenz. Und die Anonymität befeuert nur den Drang zur Rechtsfreiheit.
Respekt und Bewunderung für unsere Mitmenschen fallen somit schnell mit den steigenden Optionen des World Wide Web: Der Asiate bei Youtube macht es besser. Das google ich lieber noch mal. Egal, ob wir am Ende Recht oder Unrecht haben: Bewaffnet mit dem Smartphone neigen wir immer öfter dazu, unseren Gegenüber geringer wert zu schätzen. Und hier sind speziell die Älteren betroffen.
Denn der früher so immanente Wissensvorsprung ist heute gewaltig geschmolzen. Im Gegensatz zu Opas altbackenen Anekdoten von damals bietet das Netz doch viel frischeres, mannigfaltigeres Wissen. Neue Kontakte und Austausch mit Gleichgesinnten. Unbegrenzte Informationen und Möglichkeiten anstatt einer einzelnen Sichtweise. Ist das der Anfang vom Ende für die Tradition? Sind wir Zeugen einer bahnbrechenden Wachablösung?
Nicht ganz. Denn was bleibt, ist der Erfahrungsschatz. Den hat die alte Riege nach wie vor. Und der kommt noch nicht durchs Glasfaserkabel. Wir wissen, dass Feuer heiß ist. Aber wie lange wird es ohne Zeitzeugen von Weltkriegen dauern, bis das Vergessen wieder einsetzt? Und wir zu verwöhnt und apathisch werden?
Die Technologie des 21. Jahrhunderts bringt das Spiel des Lebens ganz klar auf eine neue Ebene. Aber die Regeln bleiben die Gleichen: Die Bestangepassten werden überleben. Und das Wissen ist schlußendlich nur so gut wie seine Anwendung. Unsere Steinzeit-Vorfahren wussten wahrscheinlich nicht, dass die Erdbeere aus botanischer Sicht zu den Nussfrüchten gezählt wird. Oder aus welchen komplexen, biologischen Verbindungen sie sich zusammensetzt. Aber sie wussten, dass man sie essen kann. Und den giftigen Pilz eben nicht. Das wieso ist egal.
Genauso reicht es heute, zu wissen, wo man das Wissen her bekommt. Man braucht nur den Kanal, nicht mehr die Quelle. Und die liegt eben zunehmend im digitalen Dickicht und immer weniger im zwischenmenschlichen Gespräch.
Für mich fühlt sich das Ganze manchmal an als wären wir aus dem Dschungel in den Dschungel gekommen. Die Frage ist für mich nur: Wo bleiben wir als Menschen in diesem Dschungel? Damals wie heute?
Ich frage mich, was mein Opa dazu sagen würde.